§ 8. Anhang.

Wir wollen unser drittes Kapitel jetzt beschliessen mit der Erwähnung einiger, von verschiedener Seite vorgetragener Ideen und Auffassungen, die mit mehr oder weniger Deutlichkeit paradoxale Tendenzen, bzw. Stellungnahme zur paradoxalen Frage, sehen lassen, ohne dass es dabei zu einer wirklichen Struktur eines Paradoxes oder einem eingehenden Versuch dazu gekommen ist. Weil es sich hier nur um das Aufzeigen grösstenteils (wenigstens was das Paradox betrifft) nicht vollständig ausgearbeiteter Ansätze handelt, werden wir nur sehr kurze Andeutungen geben.

A. 1. Zuerst nennen wir den von W. Koepp gebildeten Panagape-Begriff. 1) Bei ihm wird das Thema der Paradoxie in Verbindung mit Christentum und „Religion” berührt. Es ist wahr, dass nach Koepp die Metaphysik des Christentums die Paradoxien nicht bestehen lassen darf, sie sind ja doch alle „aufgehoben” in der Panagape, welch letztere als „das Geheimnis aller Wirklichkeiten” angesehen wird, weil die Liebe „die ganze Wirklichkeit” und so als Agape zugleich Panagape ist. So herrscht schliesslich die Harmonie. Aber doch hält Koepp daran fest, dass die religiösen Paradoxien ein gewisses Recht behalten, insofern der Glaube noch nicht zu vollem Sieg kam, und die Vollendung uns noch nicht ganz zur Ueberwindung gebracht hat. An das Paradox wird also eine Konzession gemacht, die umso |389| mehr bedeutet, als Koepp auf den Wirklichkeitscharakter des Glaubens den Nachdruck legt und sich in der Theologie zunächst der Phänomenologie bedient (vgl. Barths Chr. Dogm., Brunners Anthropologisieren, auch Brunners „Liebe”), wenn diese denn auch, anders als die Husserlsche, nicht bewusstseins-immanent, sondern objektiv heissen will. 2) Koepp verdient insofern hier Aufmerksamkeit, als es sein „Anliegen” heissen kann: „Kierkegaard durch Kierkegaard zu überwinden, ohne dabei Hegel zu verfallen.” 3)

2. Eine originelle Stellung nimmt K. Heim ein. Mit der dialektischen Theologie hat er vieles gemeinsam, aber er gehört nicht dazu. 4) Bei ihm steht das Paradox unter dem Begriff der Dimension. 5) Wir hörten ihn bereits versichern, dass nach Feuerbach die Entdeckung des „Du” die Grundlagen der Philosophie erschüttert, und so sukzessiv zu der Entdeckung der „letzten Dimension”, dem Ich-Du-Verhältnis von Gott und Mensch geführt hat. „Dimension” ist das letzte Problem der Philosophie, sagt Heim. Dieser der Raumanschauung entnommene Bild-Begriff will die verschiedenen „Sphären” aufzeigen, „die immer schon als gegeben angenommen werden müssen, wenn wir mit unseren Fragen einsetzen”, z.B. Gegenwart-Vergangenheit, Ich-Du 6), (vgl. den Existenz~Gedanken). Eine Dimension ist eine „Unterscheidungssphäre, innerhalb einer Mannigfaltigkeit, die den Rahmen bildet, innerhalb dessen die Unterscheidung zustande kommt”. 7) So entsteht „das Paradox des |390| Nebeneinander in der räumlichen Dimension”, wenn z.B. ein „Punktwesen” neben dem zeitlichen Entweder-Oder plötzlich die Dimension des „Neben-Einander” entdeckt. 8) Das „Entweder-Oder” einer Dimension ist der Ausdruck dieser bestimmten Dimension; man kann sie, nach Heim, durch ein disjunktives Verhältnis ausdrücken, „ein Entweder-Oder, zwischen zwei Möglichkeiten, die nach dem logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten miteinander unvereinbar sind.” (Die Frage: wann? z.B. fordert die Antwort: entweder vor, oder nach Chr.). Sobald nun eine Aussage auftritt, „welche jenseits des Entweder-Oder” liegt, „dessen Entfaltung die erste Dimension war”, grenzt sich die eine Dimension gegen die andere ab. Heim behauptet dann, dass eine solche Aussage vom Standpunkt der ersten Dimension aus gesehen einen Widerspruch darstellt, somit als Paradoxon ausgedrückt werden muss. Als Beispiel wird genannt: ein Ereignis b (weder vor a, noch nach a, sondern gleichzeitig neben a).

Zwei Dinge sind hier deutlich:

a) Der Begriff „Widerspruch” darf hier nicht allzu dramatisch aufgefasst werden; von einem wirklichen Widerspruch wäre ja doch nur dann zu sprechen, wenn in dem Begriff Dimension enthalten wäre, dass nur eine Dimension bestehen kann; es liegt jedoch sowohl in „di-”, als in „mensio” bereits eingeschlossen, dass es mehr als eine Dimension gibt (man denke nur an die „Punktwesen” und ihr Nebeneinander). Daraus folgt ohne weiteres, dass auch das Wort „Paradox” hier seinen tragischen Ton verliert und eher für ein Modewort, als für eine wissenschaftlich-genaue Bezeichnung zu halten ist.

b) Selbstverständlich muss auf diesem Standpunkt die „Paradoxalität” bei sehr vielen Dimensions-Kreuzungen auftreten und kann somit ins Unbegrenzte vervielfacht werden. Denn: „Eine Dimension ist eine Hinsicht, nach der jedes ens bestimmt werden muss, wenn die Frage, was es |391| ist, vollständig beantwortet werden soll”. 9) Und auch nach Heim gibt es Dimensionen für die wir blind sind.

Unter diesen Aspekt der „dimensionalen Jenseitigkeit” (Transzendenz) stellt nun Heim auch Kierkegaards „qualitativen Unterschied” zwischen Gott und Mensch, Ottos Ganz-Anderes (das Numinose) und Barths „Grenze des Menschen”. Aber es ist leicht einzusehen, dass hier wirklich eine andere Sprache gesprochen wird als bei den genannten Denkern. Wenn „das Paradoxon der Ausdruck ist der Grenze, die zwei Dimensionen von einander scheidet”, 10) dann ist aus dem Paradox der letzte Schein von einer „Krisis” weggenommen, ein „Gericht” gibt es nicht mehr. Umgekehrt ist das Paradox nun der Ort, wo die B@8LB@\648@H F@n\" Gottes, als des Schöpfers der Welt, sich uns allmählich entdeckt; es ist ein incitamentum des sich verjüngenden Denkens geworden; die Existenz leidet nicht mehr, sondern hat anstelle eines Pfahles einen Eros im Fleisch; auch die Romantik könnte sich dieses Paradox einverleiben. „Kainon ti” ist noch nicht „enantion ti”.

Dass von Paradoxie hier eigentlich nur in „dichterischem Sprachgebrauch” 11) geredet wird, sehen wir wohl aus Heims weiteren Ausführungen selbst. Er sagt ja doch auch, dass Dimensionen immer nur im Verhältnis zueinander da sind, |392| dass sie sich gegenseitig bedingen und dass wir hier also vor einem polaren Verhältnis stehen. 12) Aber diese Polarität und Paradoxie in barthianischem Sinn schliessen einander aus. Auf das Verhältnis von Gott und Kosmos will Heim diesen Polaritätsgedanken nicht anwenden. 13) Aber dann folgt daraus, dass die „Paradoxie”, die nach Heims Sprachgebrauch in den innerweltlichen Dimensionen liegt, eine „ganz andere” sein muss, als die des Ich-Du-Verhältnisses zwischen Gott und Mensch.

Auch bei Heim also lässt das „Paradox” als wissenschaftlicher Ausdruck unbefriedigt, ist der terminus alles ausser eindeutig, ist der Begriff keineswegs mit seinen Voraussetzungen konfrontiert und greift auf andere wissenschaftliche Untersuchungen (mathematische, psychologische, logische) vor, deren Hilfeleistung noch äusserst zweifelhaft ist.

3. Heim bekennt sich in einer Hinsicht gewissermassen zu J.J. Gourd, wir nennen darum auch diesen. Heim gebraucht wiederholt das Wort „inkoordinabel” um damit die Sphären oder „Mannigfaltigkeiten” zu bezeichnen, innerhalb deren das elementare Unterscheiden erst möglich wird. Um scharf zu betonen, dass das „Entweder-Oder” der einen Mannigfaltigkeit jenseits dessen der anderen liegt, nennt er diese Mannigfaltigkeit inkoordinabel. 14) In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass dies Wort bei G. Spörri gebraucht wird, in dessen Buch über J.J. Gourd. 15)

Von direktem Zusammenhang zwischen den Gedanken Heims und Gourds kann jedoch kaum gesprochen werden; Heim ist durch die Probleme der dialektischen Theologie hindurchgegangen, Gourd nicht; ausser seiner Herkunft 16) |393| spricht auch schon das Jahr der Veröffentlichung seiner „Philosophie de la Religion” (1911, Paris, Alcan) gegen die Hypothese einer wirklichen Verbindung zwischen der Problemstellung beider. Zwar hat G. Spörri 17) die Idee des (dialektisch aufgefassten) „Paradoxon” und also auch des Skandalon mit Gourds „incoordinable” verbinden wollen und man kann tatsächlich hie und da flüchtige Ansätze finden, die wenigstens auf eine klangliche Verwandtschaft hinweisen; so z.B. wenn Gourd die „folie de la croix” zu „ce qui appartient en propre au christianisme”, rechnet, oder wenn er behauptet, dass Gott „ne doit avoir d’autre rôle que celui de nous donner la plus haute représentation objective du hors la loi”, ja sogar, dass Gott „doit être le hors de la loi lui même”. 18) Aber doch ist der Abstand zwischen Gourd und der Problemstellung Kierkegaards, Heims, Rickerts (bien étonnés de se trouver ensembles) grösser, als Spörri hat glaubhaft machen wollen. 19) Denn was Rickert betrifft, so mag es zwar wahr sein, dass Gourd die verschiedenen Seinsregionen als jede für sich die andere „hors de la loi” stellend angesehen hat und in Verbindung damit auch über das Einmalige in der Geschichte spricht, aber schon der Umstand, dass nach ihm „l’irrationel dans les choses doit solliciter à l’irrationel de la vie”, 20) zeigt an, dass das Wesentliche von Rickerts Betrachtungsweise betreffs der Einmaligkeit (generalisierende, individualisierende Begriffsbildung) bei Gourd keinen Platz findet. Und was Kierkegaard und Heim und die dialektische Theologie betrifft: die Gedanken Gourds sind damit, sogar auch was Heim betrifft, 21) (der die prinzipielle Unterscheidung |394| sämtlicher innerzeitlichen Dimensionen der Ewigkeitsdimension gegenüber beibehalten will), unmöglich zu vereinigen. Der Begriff von „hors de la loi” ist bei Gourd nicht von Gott aus begründet, sondern von den innerweltlich-seelischen Gegebenheiten aus, und die „diverses catégories de hors la loi” 22) sind darnach eigentlich auf Gott übertragen, „la plus haute représentation objective du hors la loi”. 23) Man muss sich eigentlich darüber wundern, dass von Spörri zwischen Gourd und den genannten Denkern, sogar Luther, 24) Verbindungswege gesucht werden; man lese nur, wie bei Gourd „une (!) atmosphère d’absolu peut (!) hâter (!) la venue” von „le vent du sacrifice”, der da „souffle où il veut”, „lui aussi” (!); oder wenn er das Christentum nennt „plus (!) pénétré d’incoordinable que les autres religions” und das Christentum eine „histoire” haben sieht „de l’incoordinable de l’absolu, dans l’univers et dans l’esprit”. 25) Bei Kierkegaard-Barth-Heim, um von Luther nur ganz zu schweigen, hängt die Transzendenz Gottes ohne seine Persönlichkeit in der Luft (Existenz, Ich-Du, etc.). Aber Gourd behauptet, dass „le Dieu transcendent, à son tour, doit céder la place au Dieu personnel”, und lehrte in Uebereinstimmung damit, am 21. März 1901, dass „le Dieu personnel” „se présentera à la pensée (!) plus nettement, plus fortiment encore que le Dieu transcendent”, weil dieser Dieu personnel „fera disparaitre le dualisme que celui-ci amène entre Dieu et la pensée”. 26) Hier ist Kierkegaard mit seinem ganzen Gefolge ins Gesicht geschlagen. |395|

Wir nannten denn auch Gourd nicht um damit unsererseits zu behaupten, dass er für das „christliche” Paradox positive Bedeutung hat — eher leugnet er es — sondern nur, um dieser Behauptung zu widersprechen. 27)

4. Von Heim (S. 33) führen jedoch wohl Verbindungsfäden zu Eberh. Grisebach, der bereits zur Sprache kam und den wir darum nur kurz nennen. Wir erinnerten schon an Grisebachs Ausspruch, dass alle Erkenntnis an die Antinomik des Wesens, an die Zweideutigkeit der Wahrheit gebunden bleibe, weil der Widerspruch das Grundgesetz des menschlichen Wesens sei. Infolgedessen können sich, nach Grisebach, auch die Sittenlehren nie vom Widerspruch des menschlichen Wesens losmachen. 28) Darum ist eine „kritische Ethik” nötig, die Grisebach selbst in seiner „Gegenwart” gegeben hat. 29) Die „kritische” Ethik beabsichtigt die Antinomie aller Weltanschauungen mit ihren Voraussetzungen aufzuhellen und weist auch die Illegitimität jeder „beanspruchten Beziehung der Erkenntnis zu einem Absoluten” („Metaphysik”) nach. 30) Dabei wird von dem Grundgedanken ausgegangen, dass die Bilder der gegenständlichen Erfahrung und die Entwürfe des metaphysischen Denkens immer nur Erinnerungs-Projekte sind, dass man sich ihnen gegenüber also unexistentiell verhält, weil wir jeden Moment nur in der „Gegenwart” leben, nur die Gegenwart erleiden können, und also allen Bildern, die zu Erinnerungsbildern geworden sind, als zu der Vergangenheit gehörend das Vertrauen kündigen müssen: eine fata morgana. 31)

Von hier aus nimmt Grisebach nun eine radikale Kritik vor an allem System, aller Metaphysik, Theologie, an jeder nicht-„kritischen” Methode. Jede Methaphysik leidet an einem vitium originis: „in ihrer Problemstellung ist die |396| Entscheidung über Immanenz oder Transzendenz schon gefallen.” 32) Pardon gibt Grisebach nicht, auch sich selbst nicht. Auch sich selbst nämlich trifft die Kritik dieser „kritischen Methode”, 33) „soweit in dem Selbst die Tendenz vorliegt, dieses (reine) Mass (des Wesens) zu überschreiten.” 34) Denn einen monströsen Fehler würde man machen, wenn man um sich doch nur zu retten, „einen Pakt mit dem Widersprechenden auf neuer Basis schliessen” wollte, m.a.W., wenn man auf die Antinomie des Wesens, auf das Paradox, als auf eine neu gewonnene Basis, auf eine neue „Position der Antinomie”, seine „dialektische Erkenntnis fundieren wollte.” 35) Eine solche „kluge” und „paradoxe Erkenntnisweise” ist denn auch nach Grisebach Kierkegaards Fehler gewesen. Kierkegaard bleibt schliesslich mit all seiner Dialektik „unkritisch”, sagt G., weil er, trotz seines Protestes gegen Hegels Geschichtlichkeit und gegen die Mediation, doch auch selbst eine „bestimmte Losung voraussetzt”, m.a.W. auch mit etwas, das zu den „Vergangenheitsbildern” gehört, operiert, und sich von der Gegenwarts-Existentialität losmacht. 36) Jeder Versuch der Erkenntnis, die Gegenwart zu beherrschen, und wäre es auch unter Aufnahme der Antinomie in unser Wesen und unser System, muss fehlschlagen; er ist ein schwerer Fehler, weil er die Situation durch Erinnerung in ein abstraktes System verkehrt, und er wird ein schweres Misslingen, weil er nicht die Problemlage, die Gegenwart selbst, sondern nur eine erinnerte Situation beherrscht. 37) Mag man Erkenntnis dieser kritischen Lage besitzen, diese wird doch nicht zum Urteil über deren Wirklichkeit; die Erkenntnis des Paradoxen, der „vorbehaltliche” Gedanke soll sich nie einbilden, dass sie (er) in der Reflexion irgendeiner Beziehung |397| zum absoluten Seinsgrunde in Anspruch nehmen darf. 38) Das Paradox wird bei Grisebach absolut keine Voraussetzung einer gegenständlichen Erkenntnis; alle dialektischen Begriffe vom Konflikt der Gegenwart, die mehr als Begriffe sein wollen, lehnt er ehrlich ab. „Wir fragen nicht, um zugleich zu antworten.” 39) Und diese radikale Ehrlichkeit wird nicht nur in bezug auf „Gestern” (Vergangenheit), sondern auch auf „Morgen” geübt. 40) Dies ist von grosser Bedeutung der dialektischen Theologie gegenüber, die anstelle des „Habens” das „Warten”, das „Hoffen” stellte.

Es ist klar, dass dieser ehrliche Versuch, die Existentialphilosophie sich selbst durch sich selbst, und von eigenem Standpunkt aus, in Frage stellen zu lassen 41), nicht nur deutlich macht, wohin es mit dem Existenzgedanken schliesslich kommt, sondern dass er auch die Verbindung mit der dialektischen Theologie zerschneidet. Beiderseits wird denn auch mit der Kritik nicht gespart. 42) Man kann versuchen, aus der Ruine, die Grisebachs Dynamit zurückgelassen hat, noch etwas zu retten, z.B. durch Einführung von Begriffen wie „Erfahrung”, „Anfechtung”, wie es H.M. Müller tut, 43) aber die Kluft zu überbrücken ist |398| nicht möglich. Nur wäre, auch zur Abgrenzung Grisebachs sowohl gegen die dialektische Theologie, als auch gegen Kants Kritizismus, die Frage zu stellen, ob nicht auf Grisebachs eigenem Standpunkt das Sprechen von einer „kritischen Methode”, sowohl im Adjektiv, als im Substantiv allzusehr an ein Zurückgreifen auf eine einmal abgelehnte Erbschaft erinnert.

5. Von Heim und Grisebach kann nicht gesprochen werden, ohne auch Paul Tillich zu erwähnen. Auch ihn nannten wir bereits in anderem Zusammenhang, wir fassen uns also kurz. I.J. 1923 nannte Barth Tillich einen Mann, der ihm über allerlei nicht kleine Gräben hinweg immerhin noch nahe stand. 44) Aber jetzt, 10 jahre später, ist der Abstand zwischen dem Barth der 1. Periode und Tillich unermesslich, und auch wenn man mit der Verschiebung der Probleme in der dialektischen Theologie rechnet, ist der Abstand zwischen Tillich und ihr noch gross.

Anfänglich hatten Tillich und die dialektische Theologie viele Berührungspunkte. „Es gibt einen Punkt, . . . wo Paradoxie zur Aussage . . . notwendig gehört . . .: der Punkt, in dem das Unbedingte zum Objekt wird. Denn dass es das wird, ist ja eben die Urparadoxie, da es als Unbedingtes seinem Wesen nach jenseits des Gegensatzes von Subjekt und Objekt steht. Paradoxie ist also die notwendige Form jeder Aussage über das Unbedingte.” 45) Und |399| A. de Quervain freute sich 46) über Tillichs 47) Hauptanliegen: den Relativismus, auch soweit er im logischen Idealismus vorhanden ist, zu überwinden und darum dem Individuellen (Existenz!) wieder seine Würde zu geben. Die Gegenwart des Unbedingten in jeder schöpferischen Erkenntnis bedeutet ja doch coincidentia oppositorum.

Doch gibt es auch hier bereits Unterschied. Barth fragt, mit Grund, nach dem „Ort” dieses Unbedingten, von wo her Tillich Natur, Geist, Geschichte in Anspruch nehmen will, 48) und De Quervain durchschaut bereits den wesentlichen Unterschied zwischen dem (nach)-kierkegaardschen „Augenblick” und dem Hauptbegriff Tillichs: Kairos. 49) Er zerschneidet das Tischtuch eigentlich schon, wenn er Tillichs Paradox das Paradox der Mystik, der Metaphysik nennt; Tillichs Kairos-Begriff fordert ja doch nach De Quervain ein sich Richten von Denken und Willen auf das unbedingte Leben, das selbst Grund aller „Dinge und Werte” ist. 50)

Tillichs Kairos-Begriff — er hat ihn breit ausgearbeitet in „Kairos” und in anderen Schriften. Es liegt das bekannte „Entscheidungs”motiv dahinter: „Eine Zeit als Kairos betrachten, heisst, sie im Sinne einer unentrinnbaren Entscheidung, einer unausweichlichen Verantwortung betrachten, heisst, sie im Geiste der Prophetie betrachten”. Um diese Umschreibung kreisen dann wieder die bekannten Schlagworte: Kairos wird „erfüllte Zeit”, konkreter geschichtlicher Augenblick, Zeitenfülle (im prophetischen Sinne; die prophetische Rede ist hier offenbar zu perennierender Monotonie |400| verdammt). Der Streit gegen den „Historismus”, die Frage nach einem Ort, der „über dem höchsten Ort liegt, auf dem ein Künder der Gegenwart stehen kann”, der aber dann selbst kein „Ort” ist, auf dem man stehen kann, sondern der Standpunkt von Erschütterung jeden Standpunktes und dann auch das Motiv von Erschütterung der Zeit von der „Ewigkeit her” (durch die Prophetie) — es sind alles bekannte Schlagworte. Sie erinnern an die dialektische Theologie, wie übrigens auch gesagt wurde. 51)

Trotzdem, Unterschied ist vorhanden. Dem ihm gemachten Vorwurf eines immanenten Offenbarungsbegriffes stellt Tillich den der dialektischen Theologie gemachten Vorwurf gegenüber, „Standpunkt” geworden zu sein, keine „Gegenwartsnähe” zu haben, der Zeit verneinend gegenüber zu stehen. 52) Wenn auch dieser Vorwurf mehr und mehr seine Berechtigung zu verlieren beginnt, wie wir sahen, so ist doch hier die Situation, was Tillich betrifft, scharf umrissen: Tillichs „Ewigkeit” hat mit der kierkegaardschen nichts mehr gemein, ist „erzeugt”. 53) Im übrigen ist Tillichs Redeweise vorläufig noch zu dichterisch, um uns in bezug auf das Paradox lang aufzuhalten. Wenn z.B. die Utopie getadelt wird, dass sie „in der Zeit die Ewigkeit verwirklichen” wolle, während umgekehrt das Ewige die Erschütterung der Zeit und aller ihrer Inhalte sei, 54) dann tut man am besten, den Begriff „Ewigkeit” lieber nicht zu analysieren.

Es genügt uns zu konstatieren, dass bei Tillich der Entscheidungs- und Existenzgedanke zwar in den Vordergrund |401| tritt, dass aber die alte Paradoxie ihm hier nicht länger akkompagniert. Die „Gegenwartsnähe” ist eine „Augenblicksferne” geworden; Tillichs allzu rhetorische Wendung, die Kairos („Linie”) und „Augenblick” („Punkt”) gleichsetzt, rächt sich, nimmt der Paradoxie ihre Kraft. So kommt es, dass hier „Logos” über Kairos herrscht, dass der Kairos sowohl absolut als relativ heissen kann, und nicht der Verhüllung, sondern der Offenbarung des Logos dient. 55)

Und ausser diesem ist noch ein anderer bedeutungsvoller Unterschied zu nennen: hinsichtlich des Zerstörtseins oder Nicht-Zerstörtseins der Existenz. Stellte Barth die Existenz unter den Widerspruch (wenn er es auch keineswegs konsequent tat und wenn auch andere Aussprüche in seinem Kreis nach ganz anderer Richtung zeigten), Tillich, leugnet die Gebrochenheit der Existenz und steht damit Barth und Grisebach gegenüber. Dem „radikalen Protestantismus” (nomen soll hier omen sein), der „nur das eine historische Schicksal kennt, unter dem göttlichen Gericht zu stehen”, stellt Tillichs religiöser Sozialismus die These gegenüber, dass „es zwar keine eindeutige Entscheidung für Gott in der Welt des Zwiespalts geben kann, dass es aber ebensowenig eine eindeutige Entscheidung gegen ihn geben kann”. Die Existenz ist nicht satanisch, denn „das Satanische würde jede Konkretheit verzehren”. Zwar ist die Existenz (Entscheidung), insofern sie zweideutig ist, widergöttlich, nicht aber, insofern sie eindeutig gegen Gott, also satanisch ist. Sie steht unter dem Gericht „und ist doch nicht zerstört”. 56) Es scheint uns unrichtig, hier mit S. Marck ein Arbeiten in der Richtung des Gegensatzes von Aporie und Paradox zu sehen. 57) Eher würden wir von einem Besiegtwerden der Aporie sprechen wollen, mit Hilfe der neueren Axiomata der jüngeren Paradoxenlehre (Existenz, Aktualität, Entscheidung usw.). Denn wer mit Tillich „das Dämonische” . . . |402| für . . . „in Einheit mit der göttlichen Klarheit” hält, 58) der hat die Aporie und die prinzipielle Paradoxie aufgegeben. 59)

6. Ist so bereits an Tillich demonstriert worden, dass der Existenzgedanke nicht nur auf das Paradox hin-, sondern auch davon wegführen und wieder in die Richtung der Romantik steuern kann, dann gibt in dieser Beleuchtung der spätere Uebergang O. Bauhofers, des Verfassers von „Das Metareligiöse”, zum Römisch-Katholizismus, Bauhofers, der vorher Verteidiger verschiedener Grundbegriffe der dialectici war, doch wohl den dialektischen Theologen mehr Grund zum Nachdenken, als Barths tatsächlich hat zugeben wollen. 60)

7. In Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Paradoxie Kierkegaards und seiner geistigen Verwandten von einer scharfen Bekämpfung Hegels ausgegangen ist, mit dem Vorwurf für Hegel, er mediiere den Gegensatz und vernachlässige die Existenz völlig, verdient es unsre |403| Aufmerksamkeit, dass in letzter Zeit von verschiedenen Seiten wieder ein Versuch gemacht worden ist, Hegel und den Irrationalismus zu verbinden. Das Signal dazu hat Richard Kroner gegeben, der „das Unheil, das durch das von J.E. Erdmann geprägte Schlagwort ‘Panlogismus’ angerichtet worden ist, wieder gut zu machen” versucht; „das konnte”, sagt Kroner, „nur gelingen, wenn einmal statt des rationalistischen der antirationalistische Charakter der Dialektik scharf betont wurde.” 61) In seinen Erörterungen legt Kroner den Nachdruck darauf, dass Hegels Philosophie nicht nur Identitäts-, sondern auch Widerspruchsphilosophie sei, dass der Widerspruch bei ihr eine methodische Bedeutung bekomme, ein methodisches Erkenntnismittel sei. 62) Er weist, um diese s.E. noch nicht genügend durchgedrungene Wahrheit zu adstruieren, darauf hin, dass ein Unterschied besteht zwischen dem „empirischen” und dem „spekulativen” Erkennen. Das erste ist „natürlich”, unmittelbar, naiv, nicht-reflektierend, das zweite reflektiert. Im ersten, dem empirischen Erkennen, werden nur Inhalte gedacht, nicht aber das Selbst, die Inhalte werden nur als Inhalte genommen; reflexionslos, unbewusst, naiv erkennt das empirische Erkennen sich in den Inhalten. Darum ist dies empirische Erkennen „naiv metaphysisch”, es darf sich nicht widersprechen, es soll den Widerspruch vermeiden. Sobald es sich ja doch widerspricht, gibt es ein Sich-selbst-Kritisieren; ein Reflektieren also. Eigentlich ist also das empirische unmittelbare Erkennen eine Abwendung von der Wahrheit, auf die es zielt, der Satz des Widerspruchs fungiert hier eigentlich als Satz des zu vermeidenden Widerspruchs. 63) Tritt jedoch die Verneinung auf, dann dringt die Reflexion in die Empirie hinein. Aber wenn sie das tut, dann wird der Satz des Widerspruchs, der für das empirische Erkennen eigentlich nur als Verbot galt |404| (siehe oben), 64) für sie zu einem Gebot, denn der Satz des Widerspruchs wird zu einem Satz der Identität gemacht. So wird das formale Denken (das eben durch dieses Formale dem nur Inhalte denkenden empirischen Erkennen gegenüberstand) positiv, m.a.W., die Reflexion ist nicht bloss empirisch-kritisch, nicht bloss die Reflexion des Sich-Widersprechens, „sondern sie ist zugleich spekulative Reflexion des Sich-Erkennens”. Das Sich-Widersprechen ist damit zu einem Moment des Sich-Erkennens gemacht. 65) Mit Nachdruck verteidigt sich Kroner gegen jede Interpretation, die diesen „spekulativen Widerspruch” nicht „echt” würde nennen wollen. Er gibt zu, dass der Widerspruch kein echter ist, solange man unter dem echten nur den empirischen versteht. Aber: die „Hegelsche Spekulation will nicht Empirie sein, . . . sie will ‘unnatürlich’ sein, weil sie das Denken auf sich selbst zurückwendet”. Und so kann der spekulative Widerspruch zur Methode nur werden, wenn die Negation das ªJgD@< zum ¦<"<J\@< „schärft”. 66)

Natürlich ist hier nicht die Stelle zu fragen, inwiefern gerade dieses letzte Wort („schärfen”) einer eventuell an Kroners Gedanken vorgenommenen immanenten Kritik einen leichten Triumph würde verschaffen können, noch auch näher auf die Gedanken Kroners 67) einzugehen. Wir weisen hier nur auf drei Dinge hin. An erster Stelle darauf, dass auf diese Weise ein Versuch gemacht wird der kierkegaardschen Hegelkritik einen ihrer Stachel zu nehmen. Wenn ja doch der Widerspruch zur Methode wird, ist eines von Kierkegaards Bedenken seiner Kraft beraubt; |405| nicht so sehr was die Frage der schliesslichen Synthese betrifft, als was den Vorwurf hinsichtlich Hegels Vernachlässigung des Existenzmotivs betrifft. An zweiter Stelle steht, dass sich hier ein Beginn einer Annäherung auch an Fries, mit seinem bekannten Gegensatz zwischen „unmittelbarem Erkennen” und Reflexion, sehen lässt, was wieder Ausblicke auf Otto öffnet. Und an dritter Stelle, dass es in Zusammenhang mit diesen zwei Punkten auch für das Verständnis der Begriffsgeschichte des Paradoxons in diesem Moment vielleicht von Bedeutung ist, a) dass Hermann Glockner aus Anlass von Hegels 100. Todestag den Problemkreis des Irrationalen unter Hinweis auf Kroner zu Problemen Hegels gemacht und erklärt hat, dass zwar nicht die Lösungen, die die Romantik ihren Problemen gab, wohl aber bestimmt ihre Probleme selbst zugleich die Hegels waren, 68) denn „geschichtlich gewendet”, meint Glockner, „war Hegels Romantik . . . stets die Vor-Romantik Rousseaus, Hamanns und Herders”; 69) b) dass Georg Lasson aus Anlass eben desselben 100. Todestages den Wunsch geäussert hat, dass „man die heute so überaus beliebte Kategorie des Irrationalen umtaufen und ihr die Bezeichnung des Paradoxen beilegen wollte”. 70) Als Folge davon erhofft er ja ein Oeffnen der Augen wiederum für das teleologische Element in der Gegensatzfrage.

8. Ginge dieser Wunsch in Erfüllung, dann bekäme zugleich das Problem der Geschichte wieder eine andere Wendung, unter Beibehaltung des Problems des Paradoxons; jetzt jedoch hat, unter Einfluss der dialektischen Theologie (zuerst durch ihr einschneidendes Einführen des Begriffs der Urgeschichte, und später durch das Verlegen ihrer Aufmerksamkeit auf die Existenzfrage und durch die Art |406| und Weise, wie sie dies tat), das teleologische Moment in der Geschichte, wie es die Reformation als Glaubensinhalt kannte, seine Bedeutung praktisch verloren. Zuweilen wurde es als irrtümlicher Begriff verworfen, manchmal als Problem in den Hintergrund gedrängt. Das reformatorische Kind ist hier mit dem Hegelschen Bad ausgeschüttet; darum würde der obenerwähnte Wunsch Lassons auch diese für die Debatte gewinnbringende Frucht abwerfen, dass die dialektische Theologie wieder einmal wirklich auf die Reformation zu lauschen begänne.

Doch dies nicht allein, es ist noch etwas hinzuzufügen. Die dialektische Theologie hat mit dem Hegelschen Bad tatsächlich auch noch ein zweites Kind ausgeschüttet, nämlich das marxistische, für das ihre ersten Wortführer anfänglich sehr viel übrig hatten und das noch bei Tillich Pflege findet. Das von jeher (nach Hegel) im Marxismus dialektisch gefasste Thema der Geschichtsbetrachtung wird jetzt von jüngeren Marxisten wieder aufgenommen und dialektisch ausgearbeitet, aber ohne dass die Dialektik des Gott-Mensch-Verhältnisses dabei korrigierend oder mässigend auftreten kann. Wir erinnerten bereits daran, wie Hegels Dialektik den Marxismus beeinflusst hat. Dieser marxistischen Projektion von Hegels Geschichts-Schematismus auf die Fläche der Geschichte kann wohl die klassische Reformation ihr Wort gegenüberstellen (weil sie den Barth’schen Begriff der „Urgeschichte” radikal ablehnt und die „ebene Fläche” dieser Geschichte unter die prinzipielle und dynamische Gewalt des „jôm Jahwe” mit seinem Gericht und seiner Gnade stellt), aber die Dialektik der dialektischen Schule hat hier der post-hegelschen marxistischen Dialektik gegenüber keine Kraft, weder zu Abwehr, angenommen, sie wollte dies, noch zu ev. Beihilfe. Denn erst würde sie der Geschichte selbst ihr Recht wiedergeben müssen, erst müsste sie ihren Begriff der „qualifizierten Geschichte” preisgeben. Von Bedeutung für die Begriffsgeschichte des Paradoxons bleibt darum im Rahmen dieser allgemeinen Entwicklung der Debatten, dass Hegels Projekt noch |407| immer eine besondere Nachwirkung bei dem Marxismus hat, in dem „Russischen Gedanken”, 71) und sich dort nicht nur in einer eigenen Dialektik, 72) sondern auch hie und da in direkter Paradoxie, 73) wiedererkennen lässt.

B. Ueberblicken wir nun alles, was in Kap. III gesagt wurde, auch in Zusammenhang mit den hier unter A noch genannten Namen und Erscheinungen, dann drängt sich vor allem der Eindruck einer grenzenlosen Verwirrung und eines vollständigen Mangels an Einheit auf. Und nicht allein dies. Es kann Verwirrung geben, die ihre eigenen cruces deutlich anzugeben weiss, weil sie über ihre Prolegomena sorgfältig nachgedacht hat. Es kann jedoch auch Verwirrung geben, die zur Ursache hat, dass nahezu jeder über seine Prolegomena hinweggeht oder sich erst a posteriori darüber besinnt. Wo „prophetische” Klänge vernommen werden, wird diese Erscheinung sich öfters bemerkbar machen; nimmt aber die Prophetie die Toga des Gelehrten an, dann kann man ihr dies als ernsten Fehler anrechnen.

Wie bereits gesagt wurde, ist die einzige deutliche und einheitliche Theorie über das Paradoxon die des Zenbuddhismus. Für das Uebrige ist alles grenzenlose Verwirrung. Die Mathematik erwies sich als unsicher und auf ihre eigenen, als unfehlbar ausgerufenen Axiome als auf marternde Probleme zurückgeworfen. Kierkegaard war mit sich selbst uneins und nahm mit der einen Hand (approximierende Gotteserkenntnis) zurück, was die andere gab (absolutes Paradox). Otto beginnt bei Fries, aber endigt mit dessen |408| Verleugnung. Die dialektische Theologie schwankt zwischen Anthropologie und Theologie, zwischen Paradoxon als denktechnischem Apparat und als Krisis, zwischen der Existenz als Niederschlag eines aktualisierenden Gottes und der als Aufstieg eines sich in Persönlichkeit aktualisierenden Menschen. Die Geschichte wird verleugnet, entwertet, aber auch zum Substrat der Existenz und ihrer Paradoxalität gemacht. Die Dialektik spricht aus einem „Abstand” („dia-”), aber projiziert auch von ganz nahe ihre Schemas auf die gegebene Welt. Docta ignorantia verteidigt der eine, eine doctrina ignorantiae liefert der andere. Bei Kant beginnt der eine, bei Kierkegaard der andere, bei Hegel der dritte, bei sich selbst, dem Ich, der vierte. Man reicht dem Kritizismus die Hand, aber auch der Mystik (und zwar wahrlich nicht nur bei Otto), man kommt zur Kulturkrisis und zum Kulturbau, man versagt der Kunst das freie Wort, aber sieht gleich darauf Künstier sich mit Herolden eines neuen Zeitalters 74) verbinden zu paradoxalen Entwürfen, die jedoch nicht im geringsten weltabgewandt oder -verneinend sind. Und während der eine im Namen des Paradoxons zu Calvin zurückkehren zu können glaubt, baut der andere im Namen des Paradoxes den russischen Gedanken. |409|

Diese Leidensgeschichte von der Frage nach dem Inhalt des Paradoxons ist eine Wiederholung von der des Wortes „Paradoxon”.

Dies ist zu bedauern. Denn Abenteuern richtet nirgends soviel Unheil an, als wenn es, wie es hier geschieht, starke Worte über die Hybris spricht und prophetische Worte schmiedet über unendliche qualitative Unterschiede, über Zeit und Ewigkeit, Gott und Mensch. Die tiefsten Fragen hängen mit dem Paradoxon zusammen, aber die erschreckende Leichtigkeit, mit der jeder für sich nach dem Wort „Paradox” greift, und eine Struktur davon gibt oder versucht, ohne sich erst scharf über seine Prolegomena zu besinnen und auch ohne nach dem wissenschaftlich-legitimen Inhalt seiner eigenen Terminologie (Gegensatz, Krisis, Enantion, Dimension, Andersheit, Dialog, Entweder-Oder, Diakrisis usw.) zu fragen — es zeugt alles von einer Unreife, die den, der ein Auge dafür bekam, er möge dann denken, was er will, schon ein starkes Verlangen nach einer Periode gibt, 75) worin man sich wieder Rechenschaft über den Inhalt seiner eigenen Schlagworte gibt, um erst nachher zu sprechen über das Wort, den Logos und sein Verhältnis zu den *`>"4 des Menschen, hic et nunc.




1. W. Koepp, Panagape, Eine Metaphysik d. Chr.tums, I, II, Gütersloh, 1927/8.

2. Koepp, a.a.O., II, 263, 313/4, I, 30; Grundl. z. indukt. Theol., Greifswald, 1923, 43.

3. W. Ruttenbeck, Theol. u. Wirklichkeit, Theol. Rundschau, N.F., IV, 4 (1932), 248.

4. Siehe z.B. Heims Auseinandersetzung mit K. Barth, Glauben u. Denken, Berlin, 1931, 410, ff., vgl. H. Diem. Gl. u. Denken bei K. Heim, Die Chr. Welt, Gotha, XLVI, 12 (11. juni 1932), 546; G.C. Berkouwer, Geloof en Openb. i.d. nieuwere duitsche theol., Utrecht, 1932, 84; K. Barth, Brief a. K. Heim, Zw. d. Z., IX. Jhrg., 451, ff.

5. Glaube u. Denken, 406.

6. a.a.O., 38.

7. a.a.O., 55/6.

8. a.a.O. 52/3.

9. a.a.O. 56/7, 61; auch zwischen den Beziehungen Ich-Es und Ich-Du sieht Heim ein „paradoxes” Verhältnis, 199, ff. (Ankn. an Martin Buber, 200, und dessen „Ich und Du”, Leipzig, 1923, der das Verh. Ich-Du mit dem Verhältnis Gegenwart-Vergangenheit in eins setzen will. „Innerhalb des Ich-Es-Raums ist das Dasein des anderen Ich unvorstellbar”; auch hier wird wieder der u.E. ganz unlegitimierbare Ausdruck „logischer Widerstreit” gebraucht, 212. Das Weltbild des Anderen „stellt durch sein blosses Dasein mein Weltb. auf d. ganzen Linie in Frage”, sagt Heim, aber das ist kein Widerspruch; und von „diesem in Frage Stellen” zu schliessen auf eine „Hochspannung” zwischen zwei Bildern, und von daher auf einen Kampf, das ist alles eine Art von Ueberschreitung der Grenzen von Logik und Psychologie und Denkformenlehre, die wegen fehlender Argumentation die Benützung des Terminus „paradox” (der bei Heim strikt genommen seine objektiv-transzendente Bedeutung verloren hat) schon ohne weiteres bedenklich macht (212).

10. Gl. u Denken, 68.

11. cf. Diem, a.a.O., Chr. Welt. 540.

12. Gl. u. Denken, 70.

13. a.a.O., 410.

14. a.a.O., 54, cf. 57, 63.

15. a.a.O., 436.

16. Beim französischen Geist kann, ebensowenig wie beim englischen (W. Vollrath, Theol. d. Ggw. in Grossbritannien, Gütersloh, 1928), die Paradoxie des Glaubens-Kritizismus nicht sofort Anerkennung finden (man beachte den |393| Einfluss d. nordischen Geistes). Erst im J. 1933 kam es in Paris zu einer Zeitschr. Hic et Nunc, cahiers periodiques, Paris VI, Rue St. Placide 31, welche Zeitschrift sich mit der dial. Theol. sympathisch beschäftigen will.

17. G. Spörri, Das Incoordinable, Die Bedeutung Gourds für Geschichtsphil. u Theol., München, 1929.

18. J.J. Gourd, Philosophie de la Religion, Paris, Alcan, 1911, 273, 262, 263.

19. Spörri, a.a.O., 128 (Kierkegaard), 129, 136 (Heim), 44, 48 (Rickert).

20. Gourd, a.a.O., 272.

21. Heim, Gl. u. D., 410.

22. Gourd, 271, 269, passim.

23. Gourd, 262. Vgl. auch ebenda, 286, Note: „enfin, il faudra donner un centre et comme un point d’appui ferme et durable(!) à cette concentration (c’est à dire à la concentration des hors la loi qui a produit le Dieu transcendent): ce sera un hors la loi choisi parmi tous les autres et qui deviendra le représentant, le symbole, la personne des autres(!!)” (Le Dieu personnel). Note des Herausg.

24. Nach Spörri, 115, hat man Recht zu der „Annahme, dass bei Luther die Erkenntnis eines Incoordinablen im Gourdschen Sinne stattfindet”.

25. Gourd, 272, 273.

26. Gourd, 286, Note.

27. Heim selbst erkennt an, dass seine Gebrauchsweise des Inkoordinablen anders ist als bei Gourd, 436.

28. Theologische Blätter, VII, 9. Sept. 1928, 222.

29. Halle a.S. 1928.

30. Th. Blätter, a.a.O., 222.

31. Heim, Glaube u. Denken, 30/1.

32. Grisebach, Gegenwart, 41.

33. Gegenwart, 62, 69, 288.

34. a.a.O., 68.

35. a.a.O., 152/3.

36. a.a.O., 154.

37. a.a.O., 155.

38. a.a.O., 205/6.

39. a.a.O., 209, cf. 385, 403.

40. a.a.O., 576, 580.

41. Heim, Gl. u. D., 30/1.

42. Gegenwart, 71 ; vgl. (hier) das schon Erwähnte über Grisebach-Gogarten, und weiter: Gegenwart 33, 152, K. Barth. Chr. Dogm., 12, 192; H. Knittermeyer, Zur Ethik d. Ggw., Theol. Bl., VII, 9. Sept. 1928, 217, die Frage nach Grisebachs Christentum als Philosoph (trotz aller behaupteten Uebereinstimmung hier eine peinliche Frage); H.M. Müller, Credo ut intelligam, Th. Bl., VII, 7. juli 1928, 173. Note, usw.

43. Cf. K. Barth. Chr. Dogm., I, 1, 1932, 192. Auch der Versuch Knittermeyers, Grisebach (qua Philosoph, nur darum handelt es sich) für das Christentum zu behalten, unter Behauptung, dass er, Gr., doch offenbar die christliche Entscheidung als die wirkliche Entscheidung annimmt (Knittermeyer, Th. Bl., VII, 9, 221) scheitert schon an Ggw., 506: „von keiner Seite” darf „mit absoluter Autorität entscheidend eingegriffen werden”; die „kritische Erkenntnis” sieht sich vor eine „Entscheidung” gestellt, „die noch durchaus von ihr selbst und ihrem Entschluss abhängig bleibt”; „wir bleiben . . . im Vorhof einer vorbereitenden Technik des Geistes”. Hier |398| fehlt jede Spur eines Christentums, und der Vorhof hat zu keinem Tempel eine Oeffnung. Vgl. noch Th. Bl., VII, 7, 222, Grisebachs Behauptung, die kr. Ethik könne die entscheidende Haltung auf dem Boden der „Heimat” (d.h. einer im Absoluten gegründeten ethischen Wirklichkeit als Problem bezeichnet, eines ethischen Feldes, auf welchem zugleich das Problem der wirklichen Religion gestellt wird) nicht lehren. Vgl. noch Grisebachs Zehn Thesen über d. Bezieh. d. Phil. z. Theol., namentlich These 8-10.

44. Von der Parodoxie des „Positiven Paradoxes”, Theol. Blätter, 11, 12 (Dez. 1923), 287.

45. P. Tillich, Die Ueberwindung d. Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie, Kant-Studien, XXVII, 446; vgl. Sannwald, Der Begr. d. Dial. u. d. Anthropol., S. 2. Nach Tillich (hier) ist ästh. und auch dial. Paradoxie im Subjekt, die unauflösbare P.ie d. Unbed. aber im Objekt begründet, a.a.O., 446. „Die P.ie aller letzten Aussagen über das Unbed. hindert nicht die Rationalität und Notwendigkeit der Begründungszusammenhänge, |399| aus denen diese P.ie hervorwächst”, 447. „Geistige Gemeinschaft” mit Barth-Gogarten, 447, Religion enthält in sich selbst eine P.ie (der „Begr. einer Sache, die eben durch diesen Begr. zerstört wird”, 447). Vgl. K. Frör, Evangel. Denken u. Katholizismus, München, 1932, 246 (Zusammenh. T.’s mit den Dialektikern).

46. Metaphysik u. Theol., Zw. d. Z., VII. Heft, 21.

47. Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden Göttingen, 1923.

48. Theol. Blätter, Von d. Parodoxie, etc., a.a.O., 290/1.

49. De Quervain, a.a.O., 24.

50. a.a.O., 24/5.

51. Kairos, Zur Geisteslage u. Geisteswendung, hrsg. v. P. Tillich, Darmstadt, 1926, 8, 2, 3, 4, 5/6; cf. Protestantismus als Kritik u. Gestaltung, S. IX, 35.

52. Brunner, Das Gebot u. d. Ordn., 567, cf. 517, 603; Kairos 6, Protest. usw. 14.

53. Grisebach, Ggw., 576, Note: Tillichs Kairos-Lehre eine Kombination Hegelscher und Schellingscher Dialektik, ein Versuch daher, den (wirklichen) Anprall eines wirklich Anderen aufzufangen, und sich der wirkl. Bedrangung zu entziehen. Vgl. S. Marck, Die Dialektik i. d. Phil. d. Ggw., I, Tübingen, 1929, 113 (Schelling, 2e Periode, Tillichs Ausgangspunkt).

54. Kairos, 10.

55. Kairos, 65, 75.

56. Kairos (K. u. Logos), 36/7.

57. Marck, a.a.O., I, 114.

58. Tillich, Das Dämonische, Tübingen, 44.

59. Was übrigbleibt ist eine „Paradoxie”, die mit der Gott-Zeit-Krisis nichts mehr zu tun hat. Im Gegensatz zu der dial. Theol. wird eine „Gestalt der Gnade” behauptet, Protest., usw., 19/20. (H. Geist!), aber nicht darin, dass „der Protestant” (!) eine Gestalt der Gnade „bedeutet”, sondem darin, dass er Vergebung der Sünden empfängt, ist er „heilig” (in der Unheiligkeit; „Heiligkeit auf Menschen angewendet” wird zu „einer” „Paradoxie, also zu keiner Gestalt”) ebenda 28. Die Gnade ist bei T. nicht Gegenstand, wohl aber Gegenwart, und ihre Gestalt ist Bedeutungsgestalt, 20. Daher Hinweis auf z.B. das anti-paradoxal über Liturgie usw. schreibende „Berneuchener Buch”, 21, und Uebergang zum „symbolischen Denken”, und zu einer ganz unkritischen Paradoxie, vgl. L. Heitmann, Gegenwärtige Verkündigung u. symbolisches Denken, Die Chr. Welt, 46. Jhrg., Nr. 15, 1. Aug. 1932, 693. Auch die Kirche als Gestalt der Gnade ist bei T. nicht gegenständlich, wohl anschaulich; schon in seinem erwähnten Aufsatz in Kant-Studien (XXVII) hatte T. behauptet, die Paradoxie des Unbedingten stelle eine Aufgabe (nicht dem Witz, ästh. P., nicht dem Denken, dial. P., sondern) dem „Schauen”, 446/7.

60. Vgl. den anlässlich (Petersons und) Bauhofers Uebergang zur kathol. Kirche zwischen Barth u. Wobbermin geführten Briefwechsel, Das Evangelische Deutschland, IX, (22, 29. Mai 1932, und) 24, 12. juni 1932. Cf. Barth in Theol. Rundschau, 29. Mai 1932. Eine gerechte Beschr. d. wirkl. Verh. zw. Bauhofer u. d. dial. Th. bekommt man nach d. Lektüre von E. Reissner, Der Abstand v. Gott u. d. diesseitigen Werte, Zw. d. Z., (IX, 1. Heft) 1931, 69, ff.

61. R. Kroner, Von Kant bis Hegel, II, Tübingen, 1924, S. VII, VIII.

62. a.a.O., II, 319, 326.

63. II, 326/7.

64. II, 328, 330.

65. II, 332/3.

66. II, 339, 341.

67. Vgl. noch über die Paradoxie des Fichteschen Standpunktes, I, 375, ff. und über naive u. reflexive Kultur (für die Geschichtsdialektik von Bedeutung): Die Selbstverwirkl. d. Geistes, Tübingen, 1928, 198, ff., worin nach Br. Jordan (Tatwelt, V, 719, 124) Berührungspunkte mit Eucken; über die Widerspruchsproblematik in Mystik u. Religion (Theologie) im Uebergang zur Phil., S. Marck, a.a.O., I, 75; über d. Aufnahme jedes Pols in dem entgegengesetzten, Jonas Cohn, Theorie d. Dialektik, Leipzig, 1923, 265.

68. Nach hundert Jahren, Kant-Studien, XXXVI, Heft 3/4, (1931), 253.

69. a.a.O., 253/4; vgl. 254, Note 1 über Hegels „von starker Sympathie getragenen” Hamann-Aufsatz; eine historische Besonderheit, die für ein Studium über den Zusammenhang zwischen Barths und Hamanns allgemeiner Problemstellung Bedeutung hätte.

70. Hegel u. d. Gegenwart, Kant-Studien, a.a.O., 275.

71. Vgl. Boris Jakowenko, Zur Kritik d. Dialektik, Der Russische Gedanke, 1. Jhrg., 1929-1930, Bonn, S. 131 (über P. Florenskij): a.a.O., 131/2 (über L.P. Karsawin: Bewustssein als Zwei-Einheit d. Selbstbewusstseins, Gott-Menschen-Zwei-Einheit); a.a.O., 132 (über A. Lossew); cf. Th. Hartwig, Zur Dialektik der Dialektik, Monistische Monatshefte, März-Heft 1929, 71 (Hegel-Marx); A. Thalheimer, Einf. i. d. dial. Materialismus, darüber Mon. Monatshefte, Sept. ’28.

72. Bei A. Lossew wird die Hegelsche Triade zu einer Tetraktide „vervollständigt” (Jakowenko, a.a.O., 132, Note, cf. 135).

73. Leo, Karsawin, in: Der Russische Gedanke, a.a.O., 142 (Probl. d. Lebre v. d. Engeln).

74. Verschiedene Paradoxa der Ggw. findet man bei Rilke (namentlich: Stundenbuch), z.B. (Gott) unbejubelt, unbeklagt, unbeschrieben wie ein wilder Wald; der Dinge tiefer Inbegriff, der seines Wesens letztes Wort verschweigt und sich den andern immer anders zeigt: dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff; der zweite seiner Einsamkeit, die ruhige Mitte seiner Monologe. Cf. A. Soergel, Dichtung u. Dichter d. Zeit, Leipzig, 1911, 690, der mit Recht eine Parallele zieht mit Angelus Silesius, aus dessen Werken etliche Zitate zusammenzulesen wären, die ohne weiteres der dialektischen Theologie, und der indischen Mystik usw. ziemen würden, und der auch zeitgeschichtliche Parallelen aufweist (Franckenbergs Kreis, Protest gegen den „Buchstaben”, Studium der Mystik). Ein interessantes Thema ist: das Paradoxon bei den Mystikern, und den Spiritualisten, Münzer, Weigel, Franck. In bezug auf Weigel, dessen Bekämpfung vom Calvinisten Hoornbeek schon erwähnt wurde (eben mit Rücksichtnahme auf sein „Paradoxon” der Paradoxie) siebe: H. Maier, Der Spiritualismus H. Weigels, Gütersloh, 1926, 40/1 (auch über Verh. zw. Bibel u. Wort Gottes). — Ueber den Polaritätsgedanken im Expressionismus: W.L. Dahlström, Strindberg’s Dramatic Expressionism, Univ. of Michigan, 1930, 35/6/7.

75. Notwendige Arbeit für die hier in Betracht kommenden Probleme geschah in letzter Zeit durch H. Friedmann, Die Welt der Formen, 221/2, 223/4/5, 227; K. Jaspers, Psych. d. Weltanschauungen, 3. Auffl, Berlin, 1925, 29, 79, 80, 309/10, 313; H. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik d. Erkenntnis, 2. Aufl., Berlin-Leipzig, 1925, 60, 61, R. Guardini, Der Gegensatz, Mainz 1925; H. Rickert, Das Eine, Die Einheit, und die Eins, Tübingen, 1924, 19 (Tautologie u. Heterologie), siehe darüber R. Kroner, a.a.O.; O. Spann, Dialektisches u. Ganzheitliches Verfahren in ihrer systemgestaltenden Bedeutung, Bl. f. deutsche Phil., Bd. 4 (1930/1), 169-189; D.H.Th. Vollenboven, De noodzakelijkheid eener chr. Logica, Amsterdam, 1932, 65-80; P. Coffey, The Science of Logic, London, 1918, I, 395-401 (the Paradox of inference).






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