Karl Barths Dogmatik

Theologische Rundschau

Neue Folge 1. Jahrgang, herausgegeben von Rudolf Bultmann und Hans von Soden
Tübingen (J.C.B. Mohr) 1929, 1. Heft, 60-80

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Das Eigentümliche von Karl Barths Dogmatik 1), das, was seinem theologischen Denken in der heutigen Theologie einen besonderen Platz gibt, das liegt darin, daß er mit großer Energie und Bestimmtheit das eigentliche theologische Thema zum Gegenstand seiner Arbeit gemacht hat. Denn man wird nicht gut bestreiten können, daß das Deus dixit das theologische Thema ist, und daß es nur dann in seiner Eigentlichkeit verstanden ist, wenn man das „Gott selbst” in dem Deus dixit zum Problem gemacht hat, wenn man es also so faßt, daß der Gott, von dem die Rede ist, „dem auf ihn sich richtenden Denken nie zum Objekt” wird, sondern daß er bleibt, was er ist, Subjekt und Herr (S. 170). Nur dann, wenn „der handelnde Gott selbst die Größe ist, auf die alle Linien, die wir hier zichen, ausgerichtet sind”, hat man wirklich das theologische Thema erfaßt. Um es zu erfassen, genügt keine Proklamierung der Theozentrie, wenn man dabei, wie z.B. Schaeder es tut, sagen kann: „Der Gott, mit dem es die Theologie zu tun hat, ist der Gott unseres Bewußtseins und kein anderer.” Ist „unter Wort Gottes unter allen Umständen ein Reden Gottes zu verstehen, ein Akt, dessen Subjekt Gott und Gott allein ist”, dann kann „diese Wirklichkeit offenbar nicht Inhalt unseres, des menschlichen Bewußtseins, sein”. Sondern dann ist sie wirklich, wie Barth scharf und deutlich formuliert, „im Bewußtsein Gottes, nicht anderswo” (S. 93 ff.). Man redet solange jedenfalls nicht theologisch, als man von etwas redet, das unbeschadet seiner Identität zu einem Bewußtseinsinhalt, also zum Objekt werden kann. Das heißt, wenn von Gottes Wort die Rede ist, dann reden wir von einem |61| Subjekt, das, in ein Objekt verwandelt, nicht ist, was es ist (S. 96). Weil Barth entschlossen ist, das theologische Thema zu behandeln und nicht auf die heute übliche Weise an seine Stelle ein anderes Thema zu rücken — nämlich das einer am Christentum besonders interessierten Religionswissenschaft —, darum hat seine Dogmatik notwendigerweise auch ein ganz anderes Aussehen als die heutige Dogmatik im allgemeinen hat. Das Auffälligste ist das Fehlen des religionsphilosophischen Unterbaues. Damit fallen die üblichen Prolegomena. Barth gibt allerdings auch ausführliche Prolegomena. Er meint, solche umfangreichen Prolegomena, wie auch er sie beabsichtige, seien zwar ein Symptom dafür, daß wir nicht in einem klassischen Zeitalter der Theologie lebteu. Aber da das nun einmal nicht der Fall sei, da die theologische Wissenschaft heute ihrer Sache unsicher sei, so müsse man eben die Notwendigkeit der Prolegomena auf sich nehmen. Man müsse eben bei der heutigen Unsicherheit in bezug auf das eigentliche Thema der Theologie zunächst über die Sache reden, um die es gehe oder doch gehen sollte, statt wie die Alten es taten, aus der Sache heraus zu reden. Dementsprechend soll der vorliegende 1. Band der Barthschen Dogmatik, der die Prolegomena enthält, der Verständigung über die Sache und damit zugleich über den Sinn und die Mögliehkeit der Dogmatik dienen. Als die Sache, um die es in der Dogmatik geht, stellt Barth im Leitsatz des 1. Paragraphen „die Erkenntnis des rechtmäßigen Inhalts christlicher Rede von Gott und vom Menschen” fest. Es geht also um die Norm, das kritische Prinzip, das in dem Begriffe „christliche Rede” mitgesetzt ist. Hält man am theologischen Thema fest, soll „Gottes Wort” — denn darum geht es in der „christlichen Rede” — wirklich als Gottes Wort verstanden werden, das heißt als das Wort, das nur an sich selbst gemessen werden kann, dann kann es diese Form nie in abstracto geben, sondern immer nur in concreto. Man kann also nur so davon reden, daß man es in einer Entwicklung dessen, was „christliche Rede” ist, betätigt. Indem man das tut, springt man aber in der Sache, d.h. in die Dogmatik selbst unmittelbar hinein. Und es ist nicht willkürlich, wenn die Prolegomena Barths „nicht nur beherrscht sind, sondern exklusiv bestehen in einer ausgeführten Lehre vom Worte Gottes” (S. 17). Die Prolegomena, so wie Barth sie verstcht, sollen „ein das Ganze |62| illustrierender Ausschnitt” aus der Dogmatik selbst sein. Es leuchtet mir freilich nicht recht ein, warum Barth unter diesen Umständen von „Prolegomena” spricht. Denn da er in ihnen tatsächlich nicht in einer mehr oder weniger zufälligen Auswahl an Stücken der dogmatischen Arbeit das kritische Prinzip betätigt, sondern eine ausgeführte dogmatische Lehre vom Worte Gottes entwickelt, wonach er im 2. Band schwerlich von neuem anfangen wird, um seine eigentliche Dogmatik vorzutragen, so gehört in diesem Fall de facto die ganze Dogmatik zu den Prolegomena. Damit hebt Barth sie als solche auf. Dann aber können sie nicht mehr leisten, was sie doch sollten, nämlich eine Vorverständigung über Sinn und Möglichkeit der Dogmatik. Aber bevor ich darüber ausführlich spreche, will ich zeigen, wie Barth seine Lehre vom Worte Gottes entwickelt.

Ist der augenfälligste Unterschied der Barthschen Dogmatik gegenüber dem heutigen dogmatischen Brauch das Fehlen des religionswissenschaftlichen Unterbaues, so ist nicht weniger eigentümlich, daß nach ihm der Gegenstand der Dogmatik die kirchliche Predigt ist. Das stcht nicht, wie man zunächst vielleicht denken könnte, im Widerspruch zu der Bestimmung, die der bereits zitierte Leitsatz des 1. Paragraphen gibt. Denn die christliche Rede hat ihren rechtmäßigen Inhalt, nämlich das Wort Gottes, dann, wenn sie in ihrer reinen Form, nämlich als kirchliche Verkündigung, geschieht. Die kirchliche Verkündigung ist darum die reine Form der christlichen Rede, weil sie „auftragsgemäß, verantwortlich und glaubwürdig” ist (S. 18 ff.). Und sie ist das darum, weil die „Kirche nur daraufhin von Gott reden kann, daß Gott (auch zur Kirche und auch für die Kirche!) selbst redet” (S. 38). Diese Bestimmung der kirchlichen Verkündigung als Gegenstand der Dogmatik steht im Gegensatz zu fast allen modernen Dogmatiken, die natürlich auch die kirchliche Verkündigung behandeln, aber doch nur unter anderem, und nicht so, daß sie das zentrale Problem ist, auf das alles andere, was in einer Dogmatik zu sagen ist, bezogen ist. Barth selbst sieht den Unterschied so, daß das, was sich die Dogmatiker im allgemeinen zum Gegenstand machen, „irgendwie die christliche Sache selbst, die Beziehung von Gott und Mensch, von der die christliche Rede redet”, sei, daß er, Barth, aber „eine scheinbar oder wirklich tiefere Ebene aufsuche”, indem er die christliche Rede |63| als kirchliche Verkündigung zum Gegenstand der Dogmatik mache (S. 30). Hier steckt aber eine verhängnisvolle Unklarheit. Denn man kann nicht gut von der kirchlichen Verkündigung reden, ohne zugleich von ihrem Inhalt, also von der christlichen Sache zu reden und ohne sich ausdrücklich darum bemüht zu haben, sie zu verstehen. Wenn Barth (S. 32) sagt, daß „die christliche Sache selbst”, die wohl der kirchlichen Verkündigung gegeben sei, aber niemals „als Faktum, auf das sich eine Wissenschaft beziehen kann, in Betracht” komme, daß dagegen „die kirchliche Verkündigung selbst eine unzweideutig vor aller Augen sich ereignendes irdisches Faktum ist”, so ist doch dazu zu sagen, daß diese kirchliche Verkündigung, soweit sie als Gegen,stand der Barthschen Dogmatik in Betracht kommt, gerade kein unzweideutiges irdisches Faktum ist. Sondern die dogmatische Wissenschaft bezieht sich, wenn sie sie zu ihrem Gegenstand macht, eben damit auf die mit dieser Verkündigung gegebene „christliche Sache selbst”, wodurch die Verkündigung aber zu einem höchst zweideutigen Faktum wird. Hier macht sich das Fehlen einer wirklichen Vorverständigung über Sinn und Möglichkeit der Dogmatik bemerkbar. Das schwere und verwickelte Problem, wie es eine Wissenschaft geben kann von einem Gegenstand, der nie zum Objekt werden kann, läßt sich nun einmal nicht mit der Unterscheidung von Form und Inhalt lösen, die sich bei Barth an schwierigen und entscheidenden Stellen einstellt, ohne daß er sich, wie es scheint, viel Rechenschaft darüber gibt, was er damit tut. Er macht es an solchen Stellen, wie man es nach seiner Meinung zu allen Zeiten in der Theologie gemacht hat: er nimmt die Begriffe, wo er sie findet. Aber ob man sie sich nicht vorher wenigstens sehr genau ansehen sollte, damit man auch weiß, was man dann sagt, wenn man diese Begriffe benutzt? Und ob es nicht gut wäre, wenn man das in den Prolegomena täte? Man würde dann, glaube ich, besser die Solidarität mit der gegenwärtigen Epoche und ihrer theologischen Schwäche bekunden. In Wirklichkeit scheint mir der Unterschied zwischen Barth und den meisten anderen Dogmatikern darin zu bestehen, daß er „die christliche Sache selbst” so Gegenstand der Dogmatik sein läßt, wie sie uns in ihrem Geschehen, in der Offenbarung gegeben ist, während diese aus der Offenbarung „ein Offenbartsein, eine Offenbartheit” machen, wie Barth das denn |64| auch als den „luziferischen Abfall” der katholischen Lehre kennzeichnet (S. 352). Das heißt, der Unterschied ist der, daß Barth das theologische Thema festhält. Er hält es fest, indem er an der Aktualität des gegenwärtigen Offenbarungsgeschehens festhält. Denn er weiß, daß das Verhältnis zwischen Gott und Mensch „nie als schon gegeben, schon bestehend . . ., sondern immer als aktuell, d.h. in der vollen Labilität einer sich soeben ereignenden Tat” (S. 295) aufgefaßt werden muß: „Jeder Augenblick mit dem Charakter völliger Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit, jeder Augenblick, so wahr es um Gott geht in dieser Bezichung, den Einsatz, das Risiko der Existenz des Menschen erfordernd” (S. 296). Man kann also „die christliche Sache selbst” nirgend anders haben und nirgend sonst verstehen, als da, wo sie sich ereignet, wo das Wort Gottes gesprochen wird. Dieses Wort im Akt seines von Gott Gesprochenwerdens, das ist das theologische Thema, so wie Barth es erfaßt und wie es sich in seiner Dogmatik auch gegen manche der von ihm gebrauchten Begriffe immer wieder durchsetzt, die ihn allerdings, wenn er sie ernst nähme, von diesem Thema abbringen müßten, und die, wenn sie das nicht tun, doch bewirken, daß entscheidende Fragen in einer mißlichen Unklarheit bleiben.

Um die kirchliche Predigt als Gottes Gegenwart, als Ereignis seines Handelns, als seine Tat” (S. 38), eben als die kirchliche Verkündigung von Gottes Wort zu verstehen, macht Barth „die drei Gestalten des Wortes Gottes” deutlich: als Offenbarung, als Heilige Schrift und als Verkündigung der Kirche. Das ergibt zugleich die Einteilung des Buches in seine drei Hauptkapitel, denen eine kurze Einleitung, die in zwei Paragraphen über die Aufgabe der Dogmatik und die Frage der Prolegomena handelt, und ein Kapitel über die Wirklichkeit des Wortes Gottes vorausgehen. Unter diesem Titel „Die Wirklichkeit des Wortes Gottes” erörtert Barth die Tatsache, „daß unter Wort Gottes unter allen Umständen zu verstehen ist ein Reden Gottes, ein Akt, dessen Subjekt Gott und Gott allein ist” (S. 95) und daß man dieses Wort als zum und über den Menschen gesprochenes am Anfang der Theologie stehen lassen muß. Das bedeutet zwar eine petitio principii. Aber „wenn die Theologie sich der petitio principii, NB. hujus principii schämt, dann schämt sie sich des Evangeliums, und das kann in dieser und in jener Welt nur unerfreuliche Folgen haben” (S. 107). |65|

Wieso Gott in seinem Worte Subjekt ist und bleibt, das zu zeigen, dazu dient das Kapitel über die Offenbarung Gottes, das nicht nur seinem Umfang nach das Hauptstück des Buches ist, sondern das auch sonst von zentraler Bedeutung ist. Denn der Begriff der Offenbarung ist der Grundbegriff der Lehre vom Worte Gottes (S. 254). Es handelt von der Trinität. Denn das ist „das Wunder der Offenbarung, der Dreieinigkeit, der Fleischwerdung des Wortes und der Ausgießung des Heiligen Geistes, daß er gerade so, als der, der Subjekt ist und bleibt, dem Menschen sich mitteilt” (S. 64). Oder wie es an anderer Stelle formuliert ist: „Der grundlegenden Sicherung dieser so gar nicht selbstverständlichen Gleichung, auf die sich die ganze Theologie aufbaut, daß Gott Gott ist, soll die Trinitätslehre dienen” (S. 215). „Der Deus unus trinus . . . ist der Gott, der dem auf ihn sich richtenden Denken nie zum Objekt werden kann. Er ist in keiner Seinsweise ein Neutrum, vielmehr in jeder Subjekt, in jeder der Herr” (S. 170). Daß Gott redet, daß er sich offenbart, das heißt dreierlei: 1. Daß er allein der Offenbarer ist. Alles, was zur Offenbarung werden kann: das Menschenwort der Predigt, die Heilige Schrift, der Mittler in der Erscheinung Jesu Christi, dient allenfalls zur Offenbarung, ist Mittel, Diener, Werkzeug, aber der, der offenbart, ist Gott allein. Oder es ist nicht Offenbarung. Es heißt 2., daß Gott ganz Offenbarung ist. Das bedeutet in bezug auf das Problem der revelatio und theologia naturalis, daß man, wenn man etwa eine nicht in der Bibel bezeugte Offenbarung behauptet, dann auch behaupten muß, daß es die Offenbarung desselben Gottes ist, der sich in der Bibel offenbart, das heißt also: des dreieinigen Gottes. Und zweitens bedeutet es, daß es „keine Teile der Wirklichkeit Gottes gibt, die in seiner Offenbarung etwa nicht offenbar würden” (S. 137). Und schließlich heißt es 3., daß Gott selbst das Offenbarte ist. Der offenbarte Gott, das ist also nicht nur eine Erleuchtung der Vernunft oder eine Aktualisierung der religiösen Anlage des Menschen, sondern das ist Gott, der sich, nur sich offenbart. Man versteht also nur dann, was Offenbarung ist, wenn man versteht, „daß Gott wie der Offenbarer und wie die Offenbarung so auch der Offenbarte ist”. Erst wenn man dag beides verstanden hat, kann man verstehen, was es heißt, daß Gott sich in der Heiligen Schrift und daß er sich in der kirchlichen Predigt |66| offenbart, wovon dann die beiden letzten Kapitel handeln. Von diesem Begriff der Offenbarung aus entwickelt Barth nun die Trinitätslehre. Er geht dabei aus von dem Satz des neutestamentlichen Kerygmas, daß Jesus der Herr, der Kyrios ist. Der Aufweis, wieso das zweite Glied der Trinität, der Logos, der „Sohn Gottes” Ausgangspunkt des trinitarischen Gedankens ist (S. 152), ist mir nicht recht durchsichtig geworden. Barth charakterisiert die drei Personen der Trinität je nach ihrer verschiedenen Stellung zu dem „Widerspruch des Menschen zu Gott und mit sich selbst”; Gott ist der Schöpfer „als der, der vor und über dem Widerspruch des Menschen zu Gott und mit sich selbst der Herr ist”; er ist der Versöhner „als der, der siegreich mitten im Widerspruch des Menschen zu Gott und mit sich selbst der Herr ist”, und er ist der Erlöser „als der, der in der Aufhebung des Widerspruches des Menschen zu Gott und mit sich selbst der Herr ist”. Es ist also doch wohl so, daß der Begriff dieses im Widersprüch zu Gott und mit sich selbst befindlichen Menschen wichtig ist. Aber leider wird er nicht eigens geklärt. Und hier, im Fehlen einer eigentlichen Anthropologie scheint mir der eine der beiden entscheidenden Mängel des Buches zu liegen. Es sind wohl Ansätze dazu vorhanden, aber die sind nirgends ernsthaft durchgeführt. Das macht sich besonders in dem Kapitel von der Offenbarung Gottes bemerkbar. Ist der Gang der theologischen Untersuchung in der Tat so, wie Barth ihn (S. 109) beschreibt: „1. Wort Gottes, 2. Erkanntsein des Menschen im Worte Gottes, 3. Erkenntnis des Wortes Gottes durch den Menschen”, dann ist eine gründliche und nicht nur gelegentliche anthropologische Untersuchung von allergrößter Wichtigkeit für die Dogmatik. Barth polemisiert des öfteren ausdrücklich gegen die Anthropologie und die Anthropologisierung der Theologie. Man wird ihm darin zustimmen müssen, soweit es sich um eine ganz bestimmte Anthropologie handelt. Nämlich um die, die dem heute noch weithin verbreiteten Wissenschaftsbegriff entspricht. Aber gerade um dieser Anthropologie nicht zu verfallen, ohne daß man es gewahr wird, ist eine ausdrückliche anthropologische Untersuchung vonnöten. Dann ist freilich eine gründliche Untersuchung der Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie und das heißt der Frage des Verhältnisses von Theologie und Philosophie und |67| was sonst damit zusammenhängen mag, nicht zu umgehen. Daß diese Untersuchung fehlt, hängt auf das allerengste zusammen mit der Unterschätzung der Anthropologie. Barth verspottet Bultmann und mich, weil wir uns um die Frage der Philosophie und der wissenschaftlichen Begriffe bemühen, und meint, es solle ruhig jeder die Philosophie oder die Weltanschauung haben, die er gerade habe und mit dieser Brille getrost die Bibel lesen. Denn ohne eine solche Brille würden wir gar nichts schen (S. 404). Man würde sich ja gerne durch dieses freundliche Gewährenlassen das schwerste Stück der Arbeit abnehmen lassen, das man gerade an dieser Stelle glaubt tun zu müssen. Aber die gewiß nicht zu bezweifelnde und wohl auch von keinem von uns je bezweifelte Wahrheit, daß „es bei niemandem wahr ist, daß er das Evangelium nicht mit Philosophie vermenge”, ist hierfür nicht zwingend. Denn es kann ja auch niemand das Wort Gottes verkündigen, ohne seine Religion damit zu vermengen, und trotzdem ist die scharfe Unterscheidung beider eine der wichtigsten theologischen Arbeiten. Würde Barth der Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie und damit der Frage von Theologie und Philosophie die Aufmerksamkeit geschenkt haben, die ihr gebührt, dann würde er gemerkt haben, wie jeder Wissenschaftsbegriff und jeder von irgendeinem Wissenschaftsbegriff seinerseits wiederum bestimmte Begriff schon eine ganz bestimmte Anthropologie enthält. Mit der Anthropologie aber auch eine ganz bestimmte Gotteslehre. Es gehört ja zu der gelegentlich von Barth mit allem Recht scharf gerügten Fellachisierung unseres Geisteslebens, daß man heute in einer wunderlichen Naivität meint, man könne irgendwelche vorgefundenen Begriffe gebrauchen, ohne daß man damit auch die jeweiligen Probleme in einer ganz bestimmten Fassung mit übernimmt. Da heute die theologischen Probleme fast alle in religionswissenschaftliche umgebogen sind, so ist es von unerläßlicher Wichtigkeit, daß die Begriffe, die man in der theologischen Untersuchung gebraucht, losgelöst werden von der mit ihnen herkömmlicherweise verbundenen Problemfassung. Das ist aber keine Arbeit, die man unter der Hand machen kann. Sonst erfaßt man mit den Begriffen nicht den Gegenstand, den man zu fassen kriegen will, sondern einen anderen.

Am ausführlichsten spricht Barth vom Menschen in dem Kapitel |68| über die Wirklichkeit des Wortes Gottes. An der Stelle also, wo der Ausgang vom Worte Gottes als die petitio principii der Theologie behauptet wird. Hier nimmt man seinen Ausgang aber faktisch nur dann beim Evangelium, wenn der Mensch, von dem ja auch die Rede sein muß, wenn vom Evangelium etwas gesagt wird, auch der wirkliche, das heißt der vom Evangelium angesprochene Mensch ist, dessen Wirklichkeit durch das Wort des Evangeliums und durch sonst gar nichts anderes aufgedeckt wird. Nur wenn also diese petitio principii besagt, daß man, indem man seinen Ausgang beim Evangelium nimmt, zugleich von der, durch das Wort des Evangeliums aufgedeckten Wirklichkeit des Menschen ausgeht, hat man wirklich die Offenbarung Gottes in ihrem Geschehen als Ausgangspunkt, hat man also, so könnte ich auch sagen, das theologische Thema rein festgehalten.

Ist das nicht der Fall, dann besagt die petitio principii, daß man einen gedachten Gott, einen Gottesgedanken, das heißt also „das Offenbartsein, die Offenbartheit” statt der Offenbarung zum Gegenstand hat. Wie sieht nun der Mensch aus, der von der Predigt angeredet wird und den Barth unter dem Titel „Die Bedeutung des Hörens” beschreibt? Indem dieser Mensch von Gott reden hört, sagt Barth, findet er sich nicht zu Hause bei sich selbst und auch nicht bei Gott, bei dem er doch eigentlich zu Hause sein sollte. So wird ihm sein Beisichselbstsein zur Fremde, zur via, er selbst wird dadurch, daß er von Gott hört, zum viator. „Er lebt und muß doch sterben.” Sein Erkennen wird ihm zum Stückwerk. Er erkennt das Gute, das er tun sollte, und er erkennt zugleich, daß er es nicht tut. Er träumt von seiner Gottebenbildlichkeit und findet sich vor in der Mitte zwischen Engel und Tier, die man Humanität nennt. Er denkt den reinen Gedanken und muß doch merken, daß er nur ein Ding gedacht hat. Er kann sich auch nicht mit dem Endlichen begnügen, weil er zu sehen bekommt, daß alles Endliche schon die Grenze des Unendlichen ist. „Dieses Widereinander ist die Fremde, ist das Menschsein, in dem sich der, der wirklich von Oott und seiner Bezichung zu ihm reden hört, vorfindet.” Und den Gott, von dem dieser Mensch reden hört, charakterisiert Barth als „den Herrn über den Gegensätzen seiner (des Menschen) eigenen Existenz, den wirklich, d.h. in der Synthese |69| Existierenden”. Weil der Mensch bei diesem Gott nicht „daheim” ist, wird „seine Existenz, der Synthese entbehrend, zu einer einzigen Frage” (S. 70). Und zwar hat der Mensch nicht nur diese Frage, sondern er ist sie; sie ist nicht nur sein Schicksal, sondern seine eigene Tat. Beachtet man auch alles andere, was Barth hierzu noch sagt, daß nämlich diese Frage in der Antwort begründet ist und daß sie darum auch als Frage stehen bleibt, und daß, wenn der Mensch wirklich von Gott reden hört, er Gott selbst reden hört, und daß die Antwort Gottes den Menschen neu setzt, so ist doch nun zu fragen, ob Barth hier wirklich von dem Menschen und dem Gott spricht, von dem er an dieser Stelle reden müßte. Entwickelt Barth, indem er so von Gott redet, wie er es hier tut, etwas anderes als die dialektische Idee eines Widerspruches, der begründet und aufgehoben ist in seiner absoluten Einheit? Es wird nicht besser dadurch, daß Barth mitten in der Entwicklung dieser Idee einmal sagt: „Jesus Christus ist das Wort Gottes, könnten wir vorwegnehmend ebensogut sagen” (S. 76). Aber warum ausgerechnet an dieser Stelle, wo stehen sollte, was nun eben am Anfang der Theologie zu stehen hat, „vorwegnehmend”? Ist hier nur vorwegnehmend von Jesus Christus die Rede, so wird tatsächlich nicht von ihm gesprochen, sondern es wird ein frei entwickelter Gedanke mit der Vokabel „Jesus Christus” versehen. Und der Mensch, von dem hier die Rede sein müßte, ist der Sünder. Aber von dem redet Barth nicht, wenn er von dem Widereinander spricht, das er hier beschreibt. Alles, was er da nennt, ist allenfalls Folge der Sünde, aber es ist nicht selbst die Sünde. Und auch wenn Barth das, was er beschreibt und aufzählt, noch viel genauer und vollständiger beschriebe, so bekäme man damit die Sünde noch lange nicht zu Gesicht, denn von diesem Ansatzpunkt aus gibt es so etwas wie Sünde nicht, und von ihm aus könnte man auch nicht einmal, was hier gesehen wird, als Folge der Sünde erkennen. Dächte Barth so weiter, wie er hier anfängt zu denken — er tut es tatsächlich nicht; das theologische Thema wird von ihm so festgehalten, daß es ihn daran hindert —, wäre das principium, von dem er ausgeht und zu dem er immer wieder zurückkehrt, wirklich das, was hier zum Vorschein kommt, so wüßte ich wirklich nicht, wieso er sich von Tillich unterscheidet. Barth ist die grundzätzliche Frage der „Betrachtungsweise”, |70| die dann anzuwenden ist, wenn der Mensch als Hörer und Sprecher des Wortes verstanden werden soll, nicht ganz verborgen geblieben. Aber er erledigt sie auf die denkbar einfachste Weise, indem er erklärt: „Wir gehen vom phänomenologischen über zum „existentiellen” (man könnte auch sagen: zum ethischen) Denken” (S. 49). Wie schade, daß Barth hier so gar keine „Solidarität bekundet” mit denen, die sich an dieser Stelle vorzüglich plagen, weil sie es als die äußerste Not ihrer Epoche ansehen, daß sie diesen Uebergang so schwer findet. Natürlich ist richtig, was Barth sagt, daß nämlich nur „der wirklich den Menschen denkt, der sich selbst denkt, seine Existenz”. Aber was heißt das „sich selbst”, „Existenz”, „seine Existenz”? Gewiß müssen wir uns einsetzen als Faktoren in die Rechnung, damit sie aufhört Rechnung, das heißt doch wohl „System” zu sein. Nur dann, wenn wir uns einsetzen, setzen wir den Menschen ein. Aber wie tut man das? Kann man das so ohne weiteres? Ist darüber wirklich nichts anderes zu sagen als diese dürre Mitteilung? Sagt nicht die Bibel, daß man so etwas, was hier wohl gemeint ist, zwar sollte, daß man es aber nicht kann? Und redet nicht auch die Barthsche Dogmatik — mit allem Recht — gerade davon, daß man „an allen Punkten” und auf jede Weise nur eingesetzt werden kann, und daß jedes Sichselbsteinsetzen gerade nicht ein sich selbst setzen ist? Geht es also wirklich schon um den Menschen, wenn man statt von der christlichen Rede vom Prediger und Hörer redet? Geht es aber nicht um den Menschen, dann geht es auch nicht um Gott. Ich glaube mit Barth im wichtigsten einig zu sein. Nämlich darin, daß es dieses „Sich selbst denken”, ohne das theologische Arbeit als solche nicht möglich ist, das es aber nur dort geben kann, wo man das Wort Gottes zu hören bekommt, nicht in abstracto gibt, daß man also auch nicht in abstracto davon reden kann, sondern nur indem man es an der theologischen Arbeit betätigt. Ich glaube auch zu sehen, daß Barth das tatsächlich tut. Es bleibt also die Frage, wie denn zu Beginn der Dogmatik davon zu sprechen ist. Aber jedenfalls genügt nicht einfach die Mitteilung des Uebergangs vom phänomenologischen zum „existentiellen” Denken, und es genügt auch nicht, zur Charakteristik dieses „existentiellen” Menschen mancherlei Widersprüche aufzuzeigen, in denen er sich vorfindet. Es genügt nicht nur nicht, sondern |71| man darf es nicht, weil man damit nicht von dem redet, von dem doch geredet werden sollte. Nämlich nicht von dem Gott, der sich in seinem Worte offenbart, und nicht von dem Menschen, der sich als der von diesem Worte Angesprochene und Aufgedeckte vorfindet.

Da Barth an diesem, infolge der fehlenden oder, soweit sie vorhanden ist, ungenügenden Anthropologie theologisch unzulänglichen Begriffe des „Menschen, der sich im Widerspruch zu Gott und mit sich selbst befindet”, seine Trinitätslehre orientiert, so bleibt sie leider undurchsichtig. Sie ist nicht einfach spekulativ, wie sie es, wenn Barth wirklich von diesem Ausgangspunkt aus weiter dächte, allerdings sein müßte. Es ist aber auch nicht Jesus Christus als die Offenbarung, nicht Jesus Christus, der Herr, von dem aus die Dreieinigkeit rein begriffen wäre. Denn Jesus Christus ist nicht als der Kyrios zu verstehen, ohne daß die Menschwerdung verstanden wird. In deren Verständnis, wie Barth es vorträgt, macht sich aber wieder jene Anthropologie bemerkbar. Der Erörterung der Menschwerdung ist der mittlere der drei Abschnitte des 2. Kapitels gewidmet, während der erste die Dreieinigkeit und der dritte die Ausgießung des Heiligen Geistes behandelt. Es fällt auf, daß es keinen besonderen Abschnitt unter dem Titel „Die Schöpfung” gibt. Von Gott, dem Vater und Schöpfer, ist nur in einem Paragraphen des ersten Abschnittes die Rede. Und ich kann leider nicht sagen, daß mir das, was dort gesagt ist, ganz durchsichtig geworden wäre. Das kann natürlich an mir liegen. Aber es kann auch an jenem illegitimen Ausgangspunkt liegen, an Gedanken, die von ihm aus gedacht sind und die hier besonders unübersichtlich und schwer kontrollierbar mit anderen vermengt sind. Doch es wird über Barths Gotteslehre nachher noch einiges zu sagen sein.

Barth stellt selbst seine Ausführungen über die Menschwerdung unter den „nicht ganz leichten Verdacht” der Konstruktion. Er meint indessen, diesen Verdacht als unbegründet zurückweisen zu können, weil er auf Grund der tatsächlich geschehenen Offenbarung des dreieinigen Gottes in Christus nur gesagt habe, wie das gedacht werden müsse. Infolgedessen handle es sich auch nicht um eine Konstruktion a priori, sondern eine a posteriori. Die biblische Formulierung „Fleischwerdung des Wortes” sei für jede Philosophie, die nicht in ihrer Spitze ganz bewußt und bestimmt Theologie, d.h. Besinnung auf die |72| geschehene und vernommene Offenbarung wird, eine Absurdität sondergleichen” (S. 228). Auch wenn man Barth das zugesteht, was er zur Abwehr dieses Verdachtes vorträgt, so wird man doch die viel wichtigere Frage, ob er denn tatsächlich auf Grund der geschehenen Fleischwerdung des Wortes konstruiert, aufwerfen müssen. Sieht man sich nun aber Barths Lehre von der Fleischwerdung genauer an, dann wird doch ziemlich deutlich, daß der Ausgangspunkt seines Denkens in diesem Falle nicht der geoffenbarte Gott ist, sondern der nicht offenbare Gott, „das Sein Gottes in ihm selber”. Das heißt also er tut das, wovon er meint, daß die alten Lutheraner es nicht zum Guten getan hätten, daß sie nämlich lehrten, die Gottheit in abstracto habe die Menschheit angenommen. Barth behandelt die Fleischwerdung des Wortes unter dem systematischen Gesichtspunkt, daß es sich bei ihr um „die objektive Möglichkeit der Offenbarung” handle, während die Ausgießung des Heiligen Geistes „die subjektive Möglichkeit” sei. Das „objektive” meint also Gott, das „subjektive” dagegen den Menschen. Aber darf man so denken? Folgt Barth hier nicht einer unbesehenen schlechten, das heißt an diesem Orte nicht passenden Denkgewohnheit? In einem Denken, das Barth „phänomenologisch” nennt, mag man so denken und in ihm mag es dieses berühmte „theologische” Problem geben. „Wo es wirklich um den Menschen geht, da ist das Subjektive das Objektive”, sagt Barth selbst an der Stelle, wo er von dem Uebergang vom „phänomenologischen” zum „existentiellen” Denken spricht. Wenn das nicht nur ein geistreicher Satz ist — und ich meine dessen gewiß zu sein, daß er mehr sein soll als das, daß er nämlich ein unzulänglicher Ausdruck für eine unzulänglich oder gar nicht zur begrifflichen Klarheit gebrachte Sache ist, eben für den Unterschied dieser beiden Betrachtungsweisen und das heißt der Besonderheit der in der Theologie anzuwendenden Betrachtungsweise —, dann heißt das aber doch, daß es in der Theologie, in der es ja doch „wirklich” um den Menschen geht, solche Unterscheidungen wie objektiv-subjektiv schlechterdings nicht geben kann. Spricht man nicht, wenn man so denkt, das eine Mal von einem an und für sich, gegen den Menschen hin, isolierten Gott, und das andere Mal von einem an und für sich, gegen Gott hin, isolierten Menschen? Es muß dann gezeigt werden, was dieser Gott tun muß, um diese Isolierung |73| aufzuheben, also um sich zu offenbaren. Aber kann man das? Muß man da nicht, statt dessen — Barth selbst behauptet es unermüdlich — von dem Menschen aus denken, zu dem Gott geworden ist? Kann man da anders, als ausgehen von dem Gott, der eben nicht isoliert ist gegen den Menschen, und heißt das nicht, daß man dann vom Menschen aus denken muß? Allerdings von dem Menschen aus, der auch nicht gegen Gott isoliert ist, weil Gott sich seiner in der Offenbarung angenommen hat, der aber so wenig auf einer subjektiven Seite steht, wie Gott auf einer objektiven. Denn der wäre ja der wirkliche Mensch, bei dem „das Subjektive das Objektive” ist. Dächte man von ihm aus, dann — und ich meine: nur dann — dächte man auch von der geschehenen Fleischwerdung des Wortes aus. (Ich brauche kaum zu sagen, daß natürlich mit solchen Sätzen die Frage nicht beantwortet ist, sondern daß sie mit ihnen nur neu gestellt sein soll.) Ich meine, eine Bestätigung dessen, was ich hier sage, darin zu sehen, daß Barth selbst ganz hart an diese Dinge herankommt. Aber eben indem er an sie herankommt, verläßt er sie schon wieder. Barth ist auch hier willens, das theologische Thema festzuhalten. Aber da er gar zu unbesehen die Begriffe nimmt, wo er sie findet, entwindet es sich ihm in der Entwicklung der Fragen immer wieder. Er muß natürlich da, wo er zu sagen versucht, was das heißt, daß das Wort Fleisch und Mensch geworden ist, an diese Dinge herankommen. Freilich wenn er einmal sagt, „daß Gott seine göttliche unnahbare Ichheit wie mit einem Schleier von menschlicher nahbarer Ichheit bedeckt, so daß wir ihn begreifen könnten als einen, als jemand, wie wir eben — und andere Möglichkeiten zu begreifen haben wir nicht, unseresgleichen begreifen” (S. 218), so verhüllt das mehr, als daß es deutlich macht, worum es in dieser Offenbarung geht, die doch auf keinen Fall eine Verdeckung des Gottseins Gottes ist. Was sollte denn verdeckt werden? Oder ist Gott in seinem Gott-sein doch „ein singularis, ein solitarius, ein trockener Brunnen, ein eiskalter Sternenhimmel”? Barth kann zwar sagen, daß Gott „das wäre, wenn wir beim Gedanken des Vaters als des Herrn über unseren Widerspruch stehenbleiben wollen und müßten”. Immerhin fügt er gleich hinzu, daß wir dann „ja schon nicht wirklich das Bild des Vaters geschen hätten” (S. 189 f.). Aber |74| ohne das gesehen zu haben und ohne gerade davon zu sprechen, ist doch alles theologische Reden ein einziger Irrtum.

Besser ist Barths Antwort auf die Frage: warum Gott gerade Mensch wird. Er gibt die Antwort, weil erstens nur der Mensch, „die Undurchdringlichkeit des Anderen, der es sich in keiner Weise verleiden läßt, selber Ich, Subjekt zu sein”, „uns vor die durch Gott gesetzte Schranke stellen kann”. Und weil zweitens nur „der Mensch dem Menschen begegnen kann” (S. 219). Wenu Barth freilich diese Begegnung schon darin sehen kann, daß der Andere einem „in jener Undurchdringlichkeit als unauflösliches Du objektiv, anschaulich, begreiflich werden kann als seinesgleichen”, und meint, „daß wir uns mit dem Rätsel des Mitmenschen . . . auf alle Fälle im Gedenken an unsere eigene Rätselhaftigkeit auseinandersetzen müssen”, dann scheint mir das doch nur eine „ästhetische”, aber keine „existentielle” Begegnung zu sein. Wenn Gott uns so als Mensch begegnete, so würde er uns jedenfalls nicht als Gott begegnen. Und ich vermag auch nicht einzusehen, warum er dann nicht auch „sein Gott-sein in das einen Gestirns oder eines Steines oder Tieres” hätte „verhüllen” können, um uns zu „begegnen”. Denn so wie nach Barth der Mensch dem Menschen „begegnet”, so kann ihm jeder Gegenstand in der Welt „begegnen”. Wenn man sagt, daß das Wort Gottes „wahre und wirkliche Menschheit” annimmt, so ist das, was „wahre und wirkliche Menschheit” ist, doch nur zu erkennen aus oder vielmehr in der Offenbarung, und es darf nicht abgelesen werden aus dem Verständnis, das der Mensch ohne die Offenbarung von sich hat. Der „Widerspruch” aber, der nach Barth die wahre und wirkliche Menschheit ausmacht, ist etwas, wovon der Mensch ohne alle Offenbarung, ohne von Gott zu hören weiß. Und darum ist einfach gar nichts gesagt, wenn Barth etwa sagt, daß „indem Gott Mensch wird, er den Widerspruch des Menschen zu ihm und mit sich selbst trägt” (S. 266). Was wäre denn auch damit geschehen, wenn das geschähe. Wobei ich noch sagen muß, daß ich mir dabei schlechterdings nichts anderes denken könnte, als daß, wie ich oben sagte, die Idee eines Widerspruchs in der Gestalt eines Mythos entwickelt wird, der in einer absoluten Einheit zugleich gesetzt und aufgehoben ist.

Noch an einer anderen Stelle zeigt sich, wie verhängnisvoll es ist |75| daß Barth die Begriffe, die er gebraucht, nicht genügend geklärt hat, und wie er dadurch trotz aller Betonung des theologischen Themas es doch nicht zur letzten klaren Entfaltung bringt. Das ist die Frage der Geschichte. Barth hält zwar nicht viel davon, daß man sich um „eine neue verbesserte Lehre von der Geschichte” (S. 406) bemüht. Aber das dürfte Barth doch nicht hindern, sich ganz klarzumachen, was er sagt, wenn er Geschichte sagt. Sonst wird man eben auch hier — und hier vielleicht am allermeisten — fremde Probleme an die Stelle seiner eigenen setzen. Barth sieht ganz richtig: „Indem wir Gott erkennen in der von ihm angenommenen Gestalt eines für uns als solchen erkennbaren, eines menschlichen Du, erkennen wir ihn als handelnd in der Geschichte, in der Zeit, wo wir selbst sind.” Er will darum auch nicht gerne sagen, daß Offenbarung Uebergeschichte sei. Denn damit verbinde sich zu leicht „die Vorstellung, als befänden wir uns immer noch in jenem Raum, da Gott ist in sich selber, als handle es sich immer noch um jenes ewige Gescheben zwischen Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist”. Das sei zwar Uebergeschichte, aber es sei an sich noch nicht Offenbarung. „Offenbarung ist ein Mehr gegenüber jener ewigen Geschichte Gottes.” Hier ist wieder jene Sache, daß Barth von Dingen redet, die an sich nicht Offenbarung sind. Aber wie kann man davon reden, wenn am Anfang der Theologie die Offenbarung steht? Am Anfang, das heißt doch, daß von dem aus, was nicht Offenbarung ist, in aller Strenge nicht gedacht, nicht konstruiert werden darf. Wenn aber die Offenbarung ein Mehr ist gegenüber der ewigen Geschichte Gottes, dann ist eben doch von dem aus, was angeblich vor der Offenbarung liegt, diese gedacht. Barth hätte sich dann also mit seinem Denken in dem Raum befunden, „da Gott ist in sich selber”. Und das darf nach seiner eigenen Einsicht in die Theologie auf keinen Fall geschehen. Ist Offenbarung Geschichte und sind wir Menschen, ob wirs hören oder nicht, von dieser Offenbarung angesprochen, dann gibt es doch nicht, dann kann es gar nicht so etwas wie Uebergeschichte geben. Auch von Urgeschichte redete man besser nicht. Denn um der Offenbarung willen, um ihr nicht auszuweichen, gerade wo man sich mit besonderer Einsicht um sie zu bemühen meint, darf man dann nicht mehr über die Geschichte hinausdenken wollen. Aber da Barth in diesem Fall wiederum von |76| einem Ort aus denkt, der außerhalb der Geschichte liegt, so heißt es denn auch: „Die Offenbarung ist mehr als Geschichte, mehr als das menschliche Du, das uns in ihr anredet, mehr als die angenommene Gestalt, in der uns das Wort Gottes entgegentritt” (S. 233). Statt dessen müßte untersucht und gezeigt werden, wie in der Offenbarung die Geschichte und was in ihr geschicht, wie in der Offenbarung der Mensch an das Licht, in die Wahrheit gebracht wird resp. als in der Lüge befindlich aufgedeckt wird. Der Geschichtsbegriff, den Barth gebraucht, gehört eben dem „phänomenologischen” Denken an, d.h. dem Denken, in dem es nicht „wirklich um den Menschen geht”. Dergleichen Begriffe darf man aber nicht in die Theologie einführen. Sie verwirren alles. Ich weiß z.B. nicht, wie Barth bei dieser Auffassung der Geschichte diejenige Auffassung wirklich vermeiden kann, die er selbst mit Fug und Recht abwehrt, „als wäre das Menschsein Gottes ein Zweites neben seinem Gottsein, eine Erscheinung, ein Kleid, eine Wohnung, ein Symbol, ein Gleichnis”. So dankenswert die Abwehr einer solchen Auffassung ist, und so sehr ich mich in der Sache auch mit dem, was Barth über die Geschichte sagt, einverstanden weiß, so muß ich doch sagen, daß mit einer solchen Abwehr in einer Dogmatik noch nicht viel getan ist, sondern daß es da darauf ankäme, zu zeigen, wie diese falsche Auffassung von Grund auf vermieden werden kann.

Die Lehre von der Ausgießung des Heiligen Geistes hat sozusagen ihren Zielpunkt in unserer eigenen Existenz, die dann, wenn wir das Wort Gottes hören, selbst die Wirklichkeit der geschehenen Offenbarung ist. Freilich kann sie das niemals aus sich sein. Wie denn ja auch nur der, dem sich Gott offenbart, seine eigene Unmöglichkeit einzusehen vermag, jemals von sich aus zur Offenbarung zu kommen. Es kann nicht hier zuguterletzt doch die Selbstgewißheit zu einer vom Heiligen Geist gewirkten Gottesgewißheit gemacht werden. Wie in dem ganzen Buch, so ist auch hier die wichtige Erkenntnis, die, wie ich zu Anfang sagte, das die Barthsche Dogmatik Auszeichnende ist, glänzend durchgeführt, daß wir „wie in der Schöpfung und wie in der Fleischwerdung, so es auch bei der Ausgießung des Heiligen Geistes mit dem Wunder Gottes zu tun haben, mit einem Geschehen, das in Gottes Freiheit und Majestät seinen alleinigen |77| Realgrund und Erkenntnisgrund hat” (S. 290). „Daß ich in der Gnade stehend glaube und gehorche . . ., das . . . weiß ich mit letzter Zuversicht nur dann und nur insofern, als ich es mir nicht selbst sage — denn alles, was ich mir selbst sage, das kann auch Lüge sein, da hilft mir auch der Appell an das Tiefste und Allertiefste in mir selbst gar nichts —, sondern nur insofern, als es zu mir gesagt ist, und ich nur nachsage, was mir vorgesagt ist. Ist es mir gesagt, so gesagt, daß ich es von dem, was ich mir selbst sage, unterscheiden kann?” (S. 298). Das ist vorzüglich und verdient die volle Zustimmung. Wenn Barth dann auf das Sakrament, speziell das der Taufe verweist, so ist dagegen an sich zwar nichts einzuwenden. Aber so wie Barth es an dieser Stelle einführt, wirkt es als ein deus ex machina. Es ist beim besten Willen nicht einzusehen, wieso das, was hier, im Sakrament, gesagt wird, so gesagt sein soll, daß es von dem, was ich mir selbst sage, unterschieden werden kann. Das erscheint hier doch als die reine Willkür. Hier rächt sich wiederum, daß Barth es unterlassen hat, das, was er „unsere eigene Existenz”, „unsere Existenz als Sünder” nennt, zum ausdrücklichen Gegenstand seiner Untersuchung zu machen. Es ist aber doch ein selbstverständliches Erfordernis wissenschaftlicher Arbeit, daß man die Begriffe, die man verwendet, und nun gar die zentralen, klärt. Hätte Barth das mit größerer Sorgfalt, d.h. nicht nur gelegentlich, wie er es ja manchmal tut, sondern methodisch getan, so wäre er zweifellos an dieser Stelle z.B. auf die entscheidende Bedeutung des — ich gebrauche Formulierungen aus einer Arbeit von mir, die den Barthschen sehr nahe kommen — Sich-selber-sagens und im Gegensatz dazu des Sich-sagenlassens für die Erfassung der menschlichen „Existenz” gestoßen und er hätte die „existentielle” Bedeutung dessen, was er selbst hier und an anderen entscheidenden Stellen des Buches ausführt, zu viel größerer Durchsichtigkeit bringen können, als es jetzt geschehen ist. So wäre z.B. auch das, was er unter dern Titel „Glaube und Gehorsam” über die „doppelte Haltung” sagt, deutlicher geworden. Was er hier über die Ueberordnung des Soli Deo gloria über die Sola fides Luthers sagt, leuchtet mir schlechterdings nicht ein. Wenn das Soli Deo gloria bedeutet, daß ich, „indem ich erkenne, daß Gott für mich eintritt, ihm recht geben muß gegen mich selber” (S. 326), |78| dann ist das in dem Sola fide doch wirklich mit allem Nachdruck gesagt. Aber warum da eine Ueberordming des einen über das andere gefordert werden muß, sehe ich nicht ein. Oder sollte es sich auch hier wieder, ohne daß Barth es will und merkt, um jene seltsame Gottesspekulation handeln, die sich in dem Buche gelegentlich bemerkbar macht? Barth spricht, nicht gerade deutlich, von einer „dritten Dimension”, die in gleicher Weise die Wahrheit des ersten, nämlich daß „Gott den Menschen löst durch Vergebung seiner Sünde”, und des zweiten sei, nämlich daß Gott den Sünder eben damit „an sich selbst, in dem jene Lösung allein Wahrheit sein kann, bindet” (S. 328). Was damit gemeint ist, wird deutlich, wenn man sich daran erinnert, daß Barth zwei Seiten vorher sagt: „Der Inhalt der Offenbarung ist doch, vor allem und primär Gott selbst: seine Persönlichkeit, sein Name, seine Herrschaft, seine Herrlichkeit, sein Bund mit dem Menschen, in allem, was er für uns bedeutet, grundlegend und überlegen das; alles, was er für uns bedeutet, in sich schließend, aber nicht in diesen Inhalt aufzulösen” (S. 326). Ich verstehe das doch wohl recht, wenn ich es so verstehe, daß Barth hier von einem Gott spricht, der auch noch etwas anderes ist als der „Gott für uns”? Aber wovon spricht Barth dann? In dem Augenblick, wo man von dem „Gott für uns” abstrahiert, hört der „Gott an sich” auf, Gott zu sein. Denn wie „die Verkündigung der Kirche nicht an sich Gottes Wort ist, sondern . . . nur im Akt der heute geschehenden göttlichen Anrede” (S. 421), ebensowenig ist dann „Gott an sich” Gott, sondern nur „Gott für uns”. Ich wies schon einmal auf diese merkwürdige Tatsache hin. Gewiß, auch hier fügt Barth hinzu: „Daß das Wort Gottes Gottes Wort ist, das steht dem, was er uns sagt, nicht gegenüber wie die Form dem Inhalt, das ist selber Inhalt, die Fülle alles Inhalts”. Ja, aber warum ist es denn für ihn doch zweierlei, an dessen Unterscheidung ihm doch offenbar liegt? Machen sich hier nicht wieder der Theologie fremde, der Barthschen Intention entgegengesetzte, aber mit den unbesehen aufgegriffenen und ungesäuberten Begriffen noch verbundene Probleme geltend, die Barth von seinem Thema abbringen? Hierher gehört auch die Vorstellung, daß „Offenbarung — revelatio immediata — (und das unterscheidet sie von der Predigt wie von der Schrift) das ursprünglichste, das eigentliche Reden Gottes ohne das |79| Medium des Schriftwortes, ohne den Dienst der Kirche, das Reden Gottes an sich, das jenes Medium und diesen Dienst in Anspruch nimmt” (S. 45), sei. Aber woher weiß Barth von so etwas, wenn es sich dabei um etwas handeln soll, was nicht wie die Form dem Inhalt gegenüberstehen soll? Barth vollzieht ja doch einfach eine solche Gegenüberstellung, wenn er von dem Schriftwort als dem „Medium” spricht. Barth weiß es ja zum Glück auch besser als solche Sätze und ihre verhängnisvollen und leider nicht ganz vermiedenen Folgerungen es scheinen lassen. Er weiß, daß man „nach der Offenbarung nicht hinter den Texten zu suchen hat”. Sondern daß „sie geschicht, es gibt hier kein Ausweichen, in den biblischen Texten, in den Worten und Sätzen, in dem, was die Propheten und Apostel als ihre Zeugen sagen wollten und gesagt haben” (S. 344). Unter dieser Erkenntnis steht denn auch, was Barth in den beiden letzten Kapiteln über „die Heilige Schrift” und „die Verkündigung der Kirche” ausführt. Freilich nicht, ohne daß auch hier die fremden Problemstellungen immer wieder die Klärung stören. Den Schwierigkeiten, die Barth hier unter dem Titel „die Momente der konkreten Autorität” bei den Ausführungen über Text, Kirchenlehrer und besonders über die Autorität der kirchlichen Bekenntnisse sagt, ist die sorgfältigste Aufmerksamkeit vor allem derer zu wünschen, die in der Kirche an leitender Stelle stehen. Hier gibt es, wenigstens vorläufig, Wichtigeres zu bedenken als in Stockholm und Lausanne und Prag und an allen übrigen Versammlungsorten der kirchlichen Internationale.

Ich habe so ausführlich über den Mangel gesprochen, der sich durch Barths ganzes Buch hindurchzieht, nicht weil ich meinte, als ob damit alles gesagt wäre, was über das Buch zu sagen ist, und erst recht nicht weil ich meinte, daß damit die Arbeit, die in ihm geleistet ist, abzulehnen wäre. Sondern ich meine und möchte das, trotzdem es selbstverständlich ist, nachdrücklich betonen, daß aus ihm außerordentlich viel zu lernen ist. Das ist vor allem der große Nachdruck, mit dem Barth in allen Fragen auf das „Gott selbst” in dem Deus dixit der Offenbarung hinweist. Die Theologie würde sich dem nur zu ihrem großen Schaden entziehen können. Mir ist auch deutlich und jedem, der das Buch ohne Voreingenommenheit liest, wird das deutlich sein, daß sich gerade in dem, was ich an seiner Dogmatik |80| auszusetzen habe, dieses echte theologische Anliegen bemerkbar macht. Wenn Barth von dem „Mehr als Ewigkeit”, von dem „Reden Gottes an sich”, dem „Sein Gottes in sich selber” usw. spricht, so ist das, was ihn dabei bewegt und was er dadurch auf das strengste gewahrt wissen möchte, eben jenes Anliegen. Wenn ich trotzdem meine Einwendungen gerade dagegen gemacht habe, so geschah es nicht, um mich von Barth abzugrenzen, sondern weil ich mich mit ihm in seiner eigentlichen Intention durchaus einig weiß 2). Ich bin mit ihm der Meinung, daß jenes Grundanliegen der Theologie gar nicht streng genug gewahrt werden kann. Wo ihm nur ein Weniges abgebrochen wird, da ist die Theologie, die man dann treibt, ein unnützes Geschäft. Die große Bedeutung, die Barths theologische Arbeit ebendeshalb hat, kann ja ernsthaft nicht mebr zur Debatte stehen. Gerade um dieser Bedeutung willen schien es mir wichtig, zu zeigen, wo meines Brachtens ein Fehler in dieser theologischen Arbeit steckt und wo sie darum weitergetragen werden muß. Da scheint mir vor allem die kritische Säuberung der Begriffe nötig, die man in der Theologie gebraucht, so daß man mit ihnen wirklich und nur die Probleme zu fassen kriegt, um die es in der Theologie geht. Damit aber stößt man ganz von selbst suf die Frage der Anthropologie. Denn wenn nach einem guten Worte Barths „das Menschenwort, das dem Gotteswort Raum schafft, geboren wird in dem Engpaß zwischen dem biblischen Offenbarungszeugnis und dem Menschen der Gegenwart” (S. 422), dann kann auch nur in diesem Engpaß die theologische Arbeit gedeihen. Das heißt nur dann, wenn man sich und anderen deutlich machen kann, wer der Mensch der Gegenwart ist.




1. Die christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, München, Kaiser, 1927.

2. Trotzdem das jedem, der unser beider Arbeiten einigermaßen kennt, selbstverständlich ist, muß ich es doch, um keine Legenden aufkommen zu lassen, wegen der sensationellen Mitteilungen von H.M. Müller in seiner Besprechung von Barths Dogmatik in den Theologischen Blättern, Juli 1928, ausdrücklich sagen. Hier kommt Müller, nachdem er „Methode und Voraussetzungen” von Barths Buch mit Begriffen und Fragestellungen, die er von Grisebach übernimmt, untersucht hat, zu dem Schluß, daß „die Führer der dialektischen Theologie heute untereinander viel uneiniger seien als die politischen Generale in China”. Uebrigens möchte ich mir einen schüchternen Vorschlag erlauben: wenn man so nicht ganz mit eigenen Kräften einen anderen „erledigt”, sähe es da nicht besser aus, man täte es etwas zurückhaltender?




a.







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