§ 5. Sonstiges.

Obwohl sich noch viel mehr sagen liesse, schliessen wir hiemit unsere Untersuchung ab. Das Gesagte zeigt u.E. ein prinzipielles Auseinandergehen von Barth und Calvin. Nur einige kurze Bemerkungen erlauben wir uns zum Abschluss.

a) Oben sprachen wir bereits (Kap. III) über den Begriff der inexcusabilitas der Menschen. Auch Calvin kennt diesen Begriff und stützt ihn mit einer Berufung auf die (wenn auch graduell verschiedene) perspicuitas aller Offenbarung. Schon die Natur bewirkt admiratio und tenuem divinitatis gustum qui nos inexcusabiles reddat (man achte auf den Konjunktiv!). Wo dann ausserdem das Wort Gottes dazu kommt, wird die inexcusabilitas noch verstärkt, weil Gott „si facile s’est rendu à nous”. 1) „Caecitas” ist denn auch nach dem Auftreten des Wortes „voluntaria” (47, 226, vgl. 47, 295: Dei gratia non utuntur, lumen quantum in se est extinguunt).

b) Die Barthsche „Kirche Esaus”, die (später moderierte, aber nie prinzipiell widerrufene) Herabwürdigung von Kirche und Lehramt ist bei Calvin unbekannt. Die Kirche ist gardienne de la verité de Dieu, (29, 150) 2). Denn Heilige Schrift und Wort Gottes sind zwar sowohl qualitativ als quantitativ unterschieden, aber nicht geschieden. 3) Die Kirche als Träger |464| der Schrift steht nicht auf derselben Linie wie die machtlosen Lehrschulen dieses „Aeon”, sondern überwindet diese, meint Calvin. 4)

c) In Kap. III war die Rede von Kierkegaard-Barths Meinung, dass Gott nicht Objekt heissen dürfe. Auch Calvin weiss etwas derartiges zu sagen, aber er sieht nur dann Unrecht darin, dass man Gott zum „obiectum fidei” macht, wenn man es extra Christum tut. Damit ist gegen Kierkegaards und Barths einseitige Betonung von Gott als Subjekt Stellung genommen. 5) Perpetua haesitatio (Verzweiflung, Nicht-Haben, Negieren) ist „diabolicum sophistarum dogma”. 6)

d) Die tiefsten Wurzeln dieses Unterschieds zwischen Barth-Kierkegaard und Calvin liegen schliesslich in einer anderen Anthropologie, einer anderen Hamartiologie, einer anderen Geschichtsauffassung und, als Wurzel von diesem allem, in einer anderen Lehre vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Die nbF4H hat bei der dialektischen Theologie keinen geschichtlich determinierbaren Durchbruchs-Moment erlebt; Schöpfung und Sünde sind bei ihr (später) zwar unterschieden worden, aber nicht geschieden und werden praktisch noch oft verbunden, identifiziert. Calvin jedoch erkennt die Sünde als privatio boni; die Erlösung ist darum bei ihm eine restitutio in integrum creationis. Und zugleich ihre Bereicherung, weil nun die Gnade auftrat, als noch grösseres opus exeuns Dei als es die Schöpfung selbst bereits war. So weiss Calvin Pauli imperfectum zu verstehen, wenn dieser sagt, dass die Christen nbFg4 waren: Kinder des Fleisches, dass sie aber durch die Gnade nun in das praesens gesetzt sind eines neuen Stetigkeits-Lebens auch intellektuellen und verstandesmässigen Gehorsams, wenn |465| dieser denn auch noch auf seine Vervollkommnung wartet. Die Geschichte ist nicht nur das Theatron, sondern auch die Arbeitsstätte der magnalia Dei. Und Er selbst hat nicht das Band zwischen sich und seinem Kosmos zerschnitten. Das Zerschneiden dieses Bandes ist von seiten der Sünde versucht worden, aber schliesslich von Gott nicht zugelassen. Darum steht oder fällt nach Calvin die Welt mit dem principium identitatis und dem Satz des Widerspruchs: sollte Gott der Gesetzgeber, seine Gesetze selbst brechen? Wie aus dem restaurierten Bild Gottes (in den Wiedergeborenen) die Komponenten des ursprünglich in der Schöpfung gegebenen Bildes Gottes wieder zu erkennen und abzulesen sind, und wie Calvin also in dieser theologischen Methode der Rekonstruktion der Schöpfungsgegebenheiten aus den Neuschöpfungsgegebenheiten als seine theologische Ueberzeugung ausspricht, die Erlösung stelle die Schöpfungsordnungen wieder her, so ist, nach ihm, auch darin die Erlösung nur wirklich Erlösung, dass sie die Denkgesetze als ursprüngliche Schöpfungsgesetze aufrecht erhält. 7)

„Unglaube” ist nach der dialektischen Theologie immer „Missverstehen”. 8) Calvin jedoch weiss, dass der Erzfeind, der Satan, trotzdem nicht „missversteht”. Er nimmt nur nicht an (@Û *XPgJ"4, 1. Kor. 2), was Gott gesagt hat. Die dogmatische These von der perspicuitas der Offenbarung, samt der Leugnung einer Durchbrechung der Denkgesetze, beherrschen Calvins Denken, auch in diesen Fragen. In der Linie seines Denkens liegt die These, dass das principium identitatis, der Satz des Widerspruchs und das principium exclusi tertii ein principium exclusae antinomiae (stricto sensu dann natürlich) involvieren. Gott einen antirationellen (Brunner) Offenbarungsakt zuzuschreiben, der die Denkgesetze durchbricht (Haitjema), das hiesse, nach Calvin, Gott der Sünde, der Schändung seiner eigenen |466| Gesetze bezichtigen. Nicht seine Denkgesetze, sondern unsere Denksünden bricht Gott durch die Offenbarung. Das ist Calvinisch. Sein Kampf gegen die Spiritualisten beweist das.

e) Wer Calvin kennt, ist denn auch fest davon überzeugt, dass er sich einen eventuellen Vorwurf, durch seine Projizierung der Heilstatsachen auf die Ebene der zeitlichen Geschichte taste er den „Entscheidungscharakter” der Offenbarung an, nicht zu Herzen nehmen würde. Brunner hat einmal 9) das Dilemma so gestellt (gegenüber der idealistischen Geschichtsphilosophie): entweder Entfaltung oder Entscheidung. Calvin, wenn auch allem Evolutionismus abgeneigt, ist wohl mit einer Evolution auf der Basis von creatio und revelatio einverstanden. Darum würde seine scharfe Feder sich auch gegen Brunners These wenden, dass das Alte Testament den vollendeten christlichen Geschichtsbegriff (noch) nicht kenne. 10) Obgleich ja doch das Alte Testament auch bei Calvin hinter dem Neuen in graduellem Sinn zurücksteht, hat es doch dieselbe Geschichtsauffassung wie das Neue, weil es sonst — nicht geschrieben sein könnte, nicht voll von Christus sein könnte, nicht die Propheten zu Seinen Herolden machen könnte, die mit ihm auf einer Linie stehen, wiewohl sie alle ihm subordiniert und von Ihm als Gott abhängig sind. Brunner ist zwar gezwungen, seine soeben genannte „Auffassung” zu verteidigen, um so Christus als „das Einmalige” sehen lassen zu können, und so die absolute Entscheidung an „das Einmalige” in Christus zu binden. Aber Calvin urteilt, dass alles „einmalig” ist und dass, weil Christus als Logos asarkos (und später auch als ensarkos) allezeit gegenwärtig war, und ist, und sein wird, eine „Entscheidung” dadurch in allen geschichtlichen Momenten liegt. Das Wort selbst entscheidet und Christus als Logos asarkos und ensarkos ist mit sich und dem Wort verbunden. 11) |467|

f) Auf die von uns gestellte Frage, ob man von seiten der Theologie des Paradoxons tatsächlich „mit Calvin gesät” habe, antworten wir denn auch mit einem entschiedenen Nein. Wenngleich auch der heutige Calvinist mit Dankbarkeit würde anerkennen wollen, dass die dialektische Theologie gegenüber vielerlei falscher Ruhe und Selbstsicherheit einer für jeden Reformationsdrang verlorenen Theologie auf mächtige und prophetische Weise wieder notwendige Wahrheiten hat hören lassen, so kann er doch um der Wahrheit willen nicht verschweigen, dass sie als System (sofern sie diesen Namen würde haben wollen und haben können) es nicht nur an der prächtigen Einheitlichkeit fehlen lässt, die Calvins Zeugnis so mächtig gemacht hat, sondern sich auch gegen die Reformation selbst gewendet hat. Die Meinung, eine Lehre, die keinen Standpunkt hat, sondern einzig einen „mathematischen Punkt, auf dem man also nicht stehen kann” 12) sei calvinisch, reformatorisch, ist einer der schweren Irrtümer des 20. Jahrhunderts gewesen. Car Dieu nous certifie que nous trouverons en sa parolle droite intelligence de ce qui nous sera expedient pour nostre salut. Pensons-nous que nostre Dieu nous vueille frustrer? . . . Quand donc Dieu nous donne sa cognoissance, sachons qu’il ne veut point qu’un tel thresor soit perdu, ne qu’il perisse: mais que nous le recevions pour en faire nostre profit (28, 573).




1. 26, 387; 49, 327.

2. . . . afin . . . que nous ayons tousiours ceste clarté au milieu de nous: que nous cognoissons, d’autant qu’il y a predication, que la voix de Dieu retentit en nos oreilles . . . a.a.O.; cf. 53, 307/8; Exegese zu Ps. 29.

3. 29, 495; vgl. G.P. v. Itterzon, Het Geref. Leerboek der 17e eeuw (Synopsis), Den Haag, 1931, 4/5; Evangelical Quarterly, July 1932; K. Barth, Ref. Lehre, Zw. d. Z., 1924, V. 21/2.

4. 31, 289; 35, 341/2; 49, 327.

5. Tritum est illud scholarum axioma, Deum esse obiectum fidei. Ita de abscondita eius maiestate, praeterito Christo, prolixe et argute philosophantur: sed quo successu? Miris deliriis se intrincant, ut nullus sit errandi finis . . . Meminerimus non frustra Christum vocari invisibilis Dei imaginem: sed ideo hoc nomen illi est impositum, quia Deus nisi in ipso cognosci nolit, 55, 226.

6. 49, 342.

7. H. Dooyeweerd, Antirev. Staatkunde, Kampen (Zeitschr.,) passim. D.H.Th. Vollenhoven, De Noodzakelijkheid eener chr. Logica, Amsterdam, 1932, 86, ff.

8. Brunner, Art. über Anknüpfungspunkt (vgl. hier III, § 8), S. 510.

9. Der Mittler, 1927, S. 273.

10. a.a.O.

11. Demgegenüber Barth, Das Wort Gottes u.d. Theol., 1925, 206; Kierkegaard, Abs. unw. N., ed. Jena, II, 48, vgl. Einübung 111.

12. Zw. d. Z., Heft I, 1923, S. 3.






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